Eine Frage an die etwas lebenserfahrenere «Bock»-Leserschaft: Wie haben Sie in Ihrer Kindheit die Freizeit verbracht? Die einen «chlütterten» an Töfflis herum, andere betätigten sich mit sportlichen Leibesübungen, wie man das ganz früher mal nannte. Man hört sagen, dass es auch viele Junge gab, denen es oft langweilig war. Kein Handy, geschweige denn Internet, keine wirklichen Jugend- oder Förderprogramme, wenig Unterhaltung. Allerdings: Ob gewollt oder nicht, in den meisten Elternhäusern gehörte es zum guten Ton, dass das Kind ein Instrument lernte, gesungen wurde ohnehin – sei es in der Schule, in einem Chor oder in der Kirche. Kurzum, praktisch jedes Kind hatte im jungen Alter irgendeine Berührung mit der Musik, unabhängig davon, wie viel Talent und Wille vorhanden war.
Erste Gehversuche
Die Ehrgeizigen kamen irgendwann auf die Idee, an den schulfreien Nachmittagen gemeinsam zu musizieren. Zuhause im Kinderzimmer, im Keller. Erste Gehversuche wurden gewagt. Es entstanden diverse sogenannte Garage Bands, bestehend aus kreativen Teenagern, die es wagten, die heiligen CD- und Plattensammlungen der Eltern zu durchforsten, um sich von diesen alten Scheiben flashen zu lassen, mit dem träumerischen Ausblick, wie man solche Songs selbst mal vor 80 000 Fans performen würde. Folglich übten sich die Jungen die Finger wund, um eine der raren Gelegenheiten zu nutzen, um irgendwo in einem Schuppen auftreten zu können, waren Konzertmöglichkeiten gerade für Junge nämlich früher noch relativ überschaubar. Viele dieser damaligen Garage Bands starteten zwar keine Musikerkarriere, übten aber das gemeinsame Musizieren als anständiges Hobby aus, sofern sie zwischen Lehre und Hochzeit ihr Instrument nicht an den Nagel hängten. Und tun das heute noch. Entweder haben sie ein «Knockin’ On Heaven’s Door» bereits zu Tode gespielt oder sie brillieren mit präziser Frische und Leidenschaft, dass es alle vom Hocker haut. Allerdings fällt auf, je jünger, desto weniger Formationen gibt es. Ist dem wirklich so, sind die Garage Bands vom Aussterben bedroht?
Zeit, um weiterzudenken
Schaffhausen 2023. Mittlerweile gehört die Stadt zu den grösseren Kulturplayern und das völlig berechtigt. Die breite Vielfalt des Kulturangebots in Musik, Theater, Kunst, Comedy, Lesungen und Ausstellungen ist für die Grösse nahezu unersättlich. Das bestätigt auch Jens Lampater, Kulturbeauftragter seit 2010: «Seit ich dieses Amt innehalte, hat sich das kulturelle Angebot extrem vervielfältigt. Schaffhausen ist für viele ein regionaler Hotspot geworden, gerade auch für Kulturliebhabende aus Süddeutschland. Singen hat längst nie so ein dauerhaft angereichertes Angebot, während die Leute aus dem Schwarzwald bis nach Freiburg, Basel oder Schaffhausen ausweichen müssen, wenn sie von kulturellen Angeboten profitieren wollen.» Musiker und Lehrer Beat Bossart ist derselben Meinung und ergänzt: «Darum dürfen wir bereits einen Schritt weiterdenken. Die kulturellen Angebote sollten im Idealfall dazu führen, dass der Stellenwert der Kultur in den Schulen steigt, wie das im Theater bereits erfolgreich umgesetzt wird.» Das sieht auch der 15-jährige Levin Müller so. «Ich finde, dass der Musikunterricht auch nach dem achten Schuljahr obligatorisch sein soll», wünscht sich aber auch eine Auffrischung des Unterrichtinhalts. «Oft wird das Potenzial nicht ausgeschöpft. Denn mit ein bisschen Singen und Klatschen gewinnt man keine Klasse, die sich dafür begeistern lässt.» Bildungsreferent Raphaël Rohner meint dazu: «Es kommt auf das Engagement seitens der Lehrpersonen an, wie sie ihre Lektionen gestalten. Es ist viel Freiraum für Kreativität vorhanden, was auch genutzt wird.» Levin könne sich vorstellen, dass die Schulen sich beispielsweise Ukulelen beschaffen und diese während den Lektionen den Schüler:innen zur Verfügung stellen. «Darauf lernen alle ein bis zwei Akkorde, sodass daraus ein Song entsteht und wir diesen dann vortragen.»
Kreative Auswahl
Besteht wirklich Bedarf, um niederschwellige Angebote für die Jüngsten weiter auszubauen? Die Stadt Schaffhausen zeigt indes auf, dass bereits eine grosse Palette an Möglichkeiten vorhanden ist. «Grundsätzlich sind freiwillige und kostenlose Wahlfächer für alle Kinder zugänglich», versichert Raphaël Rohner. Die Musikschule Schaffhausen bietet zudem regelmässig Schnupperkurse an und veranstaltet Anlässe wie die Instrumentenvorstellungen, bei denen interessierte Kinder kostenlos Instrumente ausprobieren können. Auch die Freizeitschule Schaffhausen bietet eine kreative Auswahl an. «Ein schönes Beispiel ist das am 9. September beginnende «Festival jups», bei dem junge Kreativschaffende in Theater, Tanz, Musik, Literatur und bildenden Künsten gefördert werden», räumt Jens Lampater ein. Zudem hat der FerienPass auch in diesem Jahr für grosse Begeisterung gesorgt. Gab es früher nur oberflächliche Angebote, können die Jungen mittlerweile von einer reichhaltigen Auswahl an kreativer Freizeitbeschäftigung profitieren. Das führt allerdings auch dazu, dass die Interessen noch mehr verteilt werden und deswegen nicht mehr alle Angebote gleich stark genutzt werden.
Die Hürden der Talente
Levin Müller hat den Rhythmus im Blut. Schon im frühen Kindesalter trommelte er auf Pfannen herum. «Mir war schon früh klar, dass Levin Schlagzeug spielen will», erinnert sich seine Mutter Sandra Müller. Auch seine vier Geschwister weisen eine grosse Affinität fürs Musizieren auf. «Die Kinder mussten jedoch doch verhältnismässig lange warten, bis sie zu ihren Instrumenten kamen. Nicht nur der Unterricht ist eine Kostenfrage, auch die Beschaffung der Instrumente war finanziell herausfordernd», bringt Sandra Müller ein. Doch es hatte auch eine positive Seite, da aufgrund der Wartezeit der Wunsch der Kinder manifestiert wurde, dass sie ihr Instrument auch wirklich lernen wollten. Das sagt auch das 15-jährige Schlagzeugtalent: «Es ist ein glücklicher Umstand, dass alle ihr Lieblingsinstrument spielen können. Dadurch lag es nahe, dass wir unsere Familienband gründeten», strahlt Levin Müller. «The Originals» nennen sie sich und proben in jeder freien Minute. «Weil es ein grosser Wunsch von uns ist, überdeckt die Musik andere Bedürfnisse, auf die wir verzichten müssen.» Starke Aussage eines 15-Jährigen.
Förderprogramm in Winterthur
Alle fünf Kinder wählten den Weg über die MKS. Dabei wurde erkannt, dass Levin besonders talentiert ist, worauf er mit seiner Familie einen Platz suchte, wo er gezielt gefördert wird. «Levin ist mittlerweile am Konservatorium in Winterthur in einem Förderprogramm», erzählt seine Mutter Sandra. «Wir hätten uns sehr gewünscht, dass es hier etwas ähnliches gibt.» Denn so bezahlt er einen ausserkantonalen Tarif, was die Familie sehr teuer zu stehen kommt. Darum versucht sie mithilfe der Behörden, Stiftungen und Vereine dafür zu sorgen, dass die Finanzierung für Levins Förderprogramm gewährleistet ist. Denn auch als Normalverdienende stellt der finanzielle Aufwand für sie einen grossen Kraftakt dar. «Bis zum nächsten Sommer werden wir von einer Stiftung unterstützt, wie es danach weitergeht, steht noch völlig in den Sternen.»
Dass es in Schaffhausen für besonders Talentierte keine direkte Anlaufstelle gibt, bestätigt auch Stefan Schlegel, Leiter der Musikschule Schaffhausen: «Im Bereich der musikalischen Ausbildung fehlt derzeit noch eine strukturierte Talentförderung für fortgeschrittenere Jugendliche.» Doch auch hier stirbt die Hoffnung zuletzt, dass es eines Tages auch Angebote für ausserordentliche Talente gibt. «Wenn es sich in Schaffhausen aufgrund zu wenig Nachfrage nicht lohnt, ein Konservatorium einzurichten, wäre ein finanzieller Ausgleich sehr wünschenswert», hofft Sandra Müller, derweil ihr Sohn Levin ergänzt: «Für angehende Sportler:innen gibt es mittlerweile Ausbildungsmöglichkeiten, die sich mit dem Profisport vereinen lassen. Ich würde mir wünschen, gäbe es das für Musikschaffende auch.»
Es tut sich was
Für Begabungen im musischen Bereich gibt es aktuell kein spezifisches Förderprogramm, doch es scheint, dass Fahrt aufgenommen wird: «Das Erziehungsdepartement prüft gegenwärtig Möglichkeiten, wie die Begabtenförderung im Bereich Musik in Zusammenhang mit dem Bundesprogramm «Junge Talente Musik» verankert werden kann», erklärt Ruth Marxer, Leiterin der Dienststelle Primar- und Sekundarstufe I im Erziehungsdepartement. Aktuell fehlen noch die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen, um auch in finanzieller Hinsicht Unterstützungsleistungen anzubieten, teilt sie weiter mit. «Die Fachstelle Ausbildungsbeiträge arbeitet indes mit diversen privaten Stiftungen in der Region zusammen und leitet geeignete Fälle an eine passende Stiftung weiter», so Ruth Marxer. Aber ein Musikkonservatorium in Schaffhausen sei gemäss Fachstelle Ausbildungsbeiträge nicht in Planung, dafür existiere eine interkantonale Vereinbarung für Schulen mit spezifisch-strukturierten Angeboten für Hochbegabte. «Der Kanton Schaffhausen ist, da bei uns nur sehr wenige Angebote bestehen, dieser Vereinbarung beigetreten und unterstützt sämtliche dort aufgeführten Angebote.» Welche Ausbildungen jedoch angeboten werden, obliege nicht der Kantonshoheit von Schaffhausen. «Wenn eine Ausbildung auf der Liste fehlt, ist dies allein Sache des Standortkantons dieser Institution», so die Antwort seitens des Kantons.
Viele niederschwellige Angebote
Es ist tatsächlich immer wieder zu hören, dass viele, insbesondere einkommensschwache, Eltern ihren Kindern keinen Musikunterricht finanzieren können. Die Beschaffung von Instrumenten, der Unterricht selbst oder gezielte Förderprogramme sind kostspielig. Es gibt allerdings auch hier für die meisten Bereiche Unterstützungsleistungen. So leistet die Stadt Schaffhausen seit dem Schuljahr 2021/22 Sonderbeiträge in Form von ergänzenden Leistungen an antragsstellende Eltern, um so den Kindern den Zugang zum Musikunterricht zu erleichtern. Familien mit niedrigem Einkommen profitieren zusätzlich von der KulturLegi, die 1996 ursprünglich von der IG Sozialhilfe in der Stadt Zürich lanciert wurde und seit Ende 2007 vom Caritas-Netz gesamtschweizerisch betreut wird. Für einen Jahresbeitrag ab dem zweiten Jahr von 20-30 Franken erhalten die Mitglieder bis zu 70 Prozent Rabatt auf über 3800 Angebote. Im Kanton Schaffhausen nutzen aktuell 925 Personen die KulturLegi, wie Caritas Zürich auf Anfrage mitteilt.
Ein Lenny Kravitz auf 150 Schüler
Es stellt sich aber gleichwohl die Frage, ob es denn überhaupt genügend Jugendliche gibt, die sich als Musikschaffende verwirklichen wollen. Dazu Jens Lampater: «Ich denke, dass auch heute noch Kinder mit der Bürste vor dem Spiegel stehen. Sie werden heutzutage auch früher mit medialen Vorbildern ausgestattet.» Lehrer Beat Bossart berichtet von einem aktuellen Beispiel: «Es gibt bei uns einen Schüler, der äusserst motiviert ist an der Gitarre. Mittlerweile trägt er dieselbe Frisur wie Lenny Kravitz und lebt diese Attitüde voll aus. Ich finde das sensationell.» Doch er stellt auch fest: «Andererseits ist es auch ernüchternd. Denn es ist ein Schüler von 150 Jugendlichen, der diesen Rockstar-Traum auf seine Weise auslebt.» Wie sieht es denn der direktbetroffene Schüler Levin Müller? «Viele Jugendliche finden ihre Vorbilder mittlerweile auch im Sport, welcher der Musik etwas den Rang abgelaufen hat. Weil eben die musikalischen Fächer in der Schule nicht mehr so im Fokus stehen, haben sich die Interessen einfach verschoben auf das Sichtbare.»
Viele Ablenkungen
Ein zentraler Punkt ist, dass sich die Interessen der Jugendlichen verändert haben. «Früher, als es noch keine Handys oder einfachen Internetzugang gab, war vielen Jugendlichen oftmals langweilig», sagt Sandra Müller. Beat Bossart hakt gleich ein und kann ein Lied davon singen, wie fixiert die Jugendlichen auf ihr Handy sind. «Es gibt eine Social Media-App, bei der man täglich Flämmchen sammeln muss, um an Anerkennung zu gewinnen», was er nicht nachvollziehen kann. «Das kann doch nicht nachhaltig sein?»
«Heutzutage ist man ständig abgelenkt, alles ist resultatorientiert und schnelllebig geworden, so dass die beharrliche Geduld, etwas zu lernen, teils völlig abhandengekommen ist», stellt Sandra Müller fest. Sich über eine längere Zeit auf ein Kernthema zu fokussieren, ist aufgrund der vielen Ablenkungsgefahren gar nicht so einfach. Und wird man plötzlich herausgerissen, benötigt es durchschnittlich etwas mehr als 23 Minuten, bis man wieder im Thema drin ist, wie eine Studie von Gloria Mark, Professorin für Informatik an der University of California, besagt. Das Abgeben der Konzentrationskontrolle führt dann zu Frustpotenzial und Stresssymptomen.
Das Fazit
Zusammengefasst darf Schaffhausen ein gutes Zeugnis attestiert werden, denn die Förderprogramme sind sehr breit gestreut, vielfältig und gewähren oft niederschwelligen Zugang für alle Kinder. Punktuell gibt es sicherlich Feinjustierungen, die individuell gelöst werden können, wie zum Beispiel ein Treffpunkt für Jugendliche, wo gejammt und geprobt werden kann. Auch ist der Kanton bemüht, dass Talente, die ausserkantonal ausgebildet werden, bald Unterstützung erhalten sollen. Zudem unterstützt die Stadt Schaffhausen kulturelle Projekte, wie Raphaël Rohner bestätigt: «Die Anzahl organisierter Institutionen und Vereine im Kulturbereich ist in der Stadt sehr hoch und die Organisationen geniessen ein relativ hohes Ansehen in der Bevölkerung. Das kulturelle Schaffen wird wahrgenommen und gerne unterstützt. Auch die Stadt investiert sehr viel Geld in die Kulturförderung, sei es mit Leistungsvereinbarungen oder mit Beiträgen an einzelne Projekte im Sinne direkter Kulturförderung. Kultur und Bildung haben bei mir einen hohen Stellenwert. Sie haben einen engen Bezug zueinander.» Und am Ende des Tages liegt es an jeder einzelnen Person, in welchem Rahmen man der Schaffhauser Kultur gegenübertritt. Im Wissen, s’het für all öppis.