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Kultur
23.08.2021

Für Schaffhauser eine Luxusyacht

Bis 1966 war es möglich, sich im Weidling sitzend vom Dampfschiff den Rhein hochziehen zu lassen. Das Foto entstand in Diessenhofen von der Rheinbrücke aus.
Bis 1966 war es möglich, sich im Weidling sitzend vom Dampfschiff den Rhein hochziehen zu lassen. Das Foto entstand in Diessenhofen von der Rheinbrücke aus. Bild: Werner Egli, Stadtarchiv Schaffhausen
Der Weidling ist für viele Schaffhauserinnen und Schaffhauser ein Heiligtum. Er steht für Freizeit und Erholung. «Stachle» und «Abetriibe loh», sind geflügelte Worte in der hiesigen Mundart und wer einen Weidlingspfosten besitzt, hat es zu was gebracht.

In einem Dokumentarfilm über den Rhein beim deutschen Fernsehsender SWR ist das Schaffhauser Lindli mit den Weidlingen zu sehen. Der Sprecher des Films sagt in diesem Moment: «Am Hochrhein sind das echte Statussymbole: Die Weidlingspfosten.» Und damit hat er wohl recht. Das zeigt alleine schon ein Blick auf die Warteliste für einen dieser begehrten Pfosten. 275 Bootsplätze gibt es alleine auf dem Gebiet der Stadt Schaffhausen. Auf der Warteliste für einen solchen Platz sind 299 Leute und Vereine. Selbst wenn jede Person, die einen Weidlingspfosten hat, diesen aufgeben würde, hätten also nicht alle auf der Warteliste die Chance, einen Platz zu bekommen. Die Warteliste sei aber auch schon viel grösser gewesen, sagt Romeo Bettini, der bei der Stadt Schaffhausen für die Vergabe der Weidlingspfosten zuständig ist: «Zwischenzeitlich waren mal rund 600 Personen auf der Warteliste eingetragen. Viele davon wussten gar nichts davon, weil sie von ihren Eltern angemeldet wurden, oder sie hatten kein Interesse mehr. Seit wir eine jährliche Gebühr für den Verbleib auf der Warteliste eingeführt haben, ist die Zahl deutlich zurück gegangen.» Die Person, die auf der Liste aktuell zuoberst steht, hat sich 1975 für einen Bootsplatz angemeldet. Also vor 46 Jahren! Romeo Bettini betont aber, dass diese Zahl nicht als Richtwert genommen werden könne: «In diesem Fall hat die Person schon mehrmals einen Platz abgelehnt, weil sie einen für einen motorisierten Weidling will. Seit die Initiative angenommen wurde, die verlangt, dass maximal die Hälfte aller Weidlinge an den Schaffhauser Bootsplätzen motorisiert sein dürfen, braucht es dafür Geduld.» Im Moment müssten noch fünf Plätze mit motorisierten Weidlingen bei einem Besitzerwechsel durch Boote ohne Motor ersetzt werden, um die Hälfte zu erreichen, ergänzt Romeo Bettini.

«Die emotionale Verbundenheit mit dem Weidling ist schweizweit einzigartig.»
Roland E. Hofer, Schaffhauser Staatsarchivar

Lange Tradition

Wie wichtig der Weidling für die Schaffhauserinnen und Schaffhauser ist, zeigt alleine schon der Fakt, dass er beim Bund als eine von sieben «lebendigen Traditionen» Schaffhausens aufgeführt wird. Der Schaffhauser Staatsarchivar Roland E. Hofer sagt, dass der Weidling in Schaffhausen einen enorm hohen Stellenwert habe: «Ich denke, die emotionale Verbundenheit mit dem Weidling ist schweizweit einzigartig. Es gibt in anderen Regionen ähnliche Gefährte, aber die haben nicht die gleiche Bedeutung.» Viele in Schaffhausen sind denn auch stolz auf ihr traditionelles Fortbewegungsmittel auf dem Fluss. Nur wenige sind sich aber bewusst, wie alt die Geschichte des Weidlings tatsächlich ist. «Der Ursprung liegt wahrscheinlich in den Einbäumen, die sich seit rund 4500 Jahren am Bodensee nachweisen lassen. Durch Versuch und Irrtum entwickelte sich die heutige Form. Wichtig ist, dass die Weidlinge traditionell aus Massivholz gebaut werden und - zumindest historisch betrachtet - motorlos waren», sagt Roland E. Hofer. Ursprünglich wurde der Weidling als Transport- und Fischerboot benützt. Der Freizeitaspekt stellte sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein, erklärt der Historiker: «Das Konzept der ‹Freizeit› ist ein relativ neues Konzept und für grosse Teile der Bevölkerung in unserem heutigen Verständnis des Wortes erst möglich durch die industrielle Revolution und die damit verbundene wirtschaftliche und soziale Entwicklung des 20. Jahrhunderts.» Und auch in der jüngeren Zeit veränderte sich das Freizeitverhalten. Währenddem sich heute viele auf den ursprünglichen Weidling ohne Motor besinnen, war es in den 60er-Jahren angesagt, möglichst motorisiert den Rhein hochzufahren. Wer keinen Motor am Boot hatte, wurde erfinderisch. Bis 1966 war es sogar möglich, seinen Weidling am Kursschiff der Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein zu befestigen und sich so den Rhein hochziehen zu lassen. Heute sei sowas undenkbar, sagt Remo Rey von der Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein schmunzelnd: «Die aktuellen Sicherheitsgesetze erlauben so etwas definitiv nicht mehr.»

Unser Rhein

Der «Schaffhauser Bock» berichtet in einer Serie über den Rhein, seine Bedeutung für die Region, seine Gefahren und die Menschen, die mit und von ihm leben.

Yves Keller, Schaffhausen24