Ein lauer Sonntagnachmittag. Vom Rhein her bläst ein angenehmer Luftzug durchs Städtchen. Touristinnen und Touristen flanieren beim Rathaus über den Platz und schiessen unzählige Fotos, von denen sie viele später wieder löschen werden. Vor dem Volg diskutiert ein Vater in breitem Berner Dialekt mit seinem trotzigen Bub, der seinem Unmut über die Zvieriwahl lautstark und mit Tränen in den Augen Ausdruck verleiht: «I wott ke Öpfu, i wott es Schogoglacé!» Etwa hundert Meter davon entfernt warten Menschen geduldig in der Schlange vor dem erwähnten Glacéstand. Die Verkäuferin im dazugehörigen Kaffee erklärt dem Reporter freundlich, aber bestimmt, dass sie gerade keine Zeit habe, Fragen zu beantworten. Die Kundschaft warte.
Die Touristen sind zurück

Guter Sommerstart
Etwas mehr Zeit hat Yvonne Bähler, die Leiterin des Tourismusbüros in Stein am Rhein. Sie zeigt sich zufrieden mit der Entwicklung: «Uns kommt zugute, dass unsere Gäste schon immer mehrheitlich aus der Schweiz und aus Deutschland kamen. Zwar fehlen uns im Moment die Besucherinnen und Besucher aus Übersee, dafür haben wir festgestellt, dass das Portemonnaie bei den Schweizer Gästen lockerer sitzt und die Leute gut konsumieren. Allgemein sind im Städtli wieder viele Leute unterwegs.» Den positiven Trend bestätigt auch der stellvertretende Direktor von Schaffhauserland Tourismus Matthias Külling. «Wir stellen fest, dass auch wieder mehr Leute aus den benachbarten Ländern in die Region Schaffhausen reisen. Insbesondere Deutsche kommen wieder vermehrt zu uns.» Das zeigt auch ein Blick auf den grossen Parkplatz vor der Steiner Altstadt. Cars mit grossen Touristengruppen aus fernen Ländern fehlen, die Autoparkplätze sind dafür restlos besetzt mit Autos aus der halben Schweiz, Deutschland, den Niederlanden oder aus Luxemburg. Und auch die Aussentische der Restaurants sind an diesem Sonntagnachmittag praktisch alle besetzt.
Etwas ruhiger als an den touristischen Orten Rathausplatz, Understadt und Schiffländi ist es in den Seitengässchen. In einem solchen Gässchen liegt das «Bistro chez Ulrique». Die Inhaberin Ulrike Bieri strahlt, als sie auf die zurückgewonnenen Touristinnen und Touristen angesprochen wird: «Es tut einfach gut, dass hier wieder Menschen vorbeikommen und Leben ins Bistro zurückkehrt. Wir hatten am letzten Freitag ein Konzert hier. Das war so schön, ein richtiges Fest.» Während sich Ulrike Bieri über die zurückgekehrten Gäste freut, setzt sich hinter ihr ein deutscher Tourist an ein freies Tischchen und bringt sich ins Gespräch ein: «Es tut gut, wieder raus zu können und etwas Normalität zurück zu gewinnen.» In seinem Fall sei dies ganz besonders wohltuend, denn er sei im Moment noch wegen einer Coronaerkrankung in der Reha: «Ich konnte heute eine Velotour machen. Das ist für mich ein unglaublich schönes Gefühl, denn noch vor ein paar Wochen musste ich wegen Corona fast auf die Intensivstation.»
Schifffahrt mit Aufholbedarf
Etwas weiter unten am Rhein legt ein Kursschiff an und bringt neue Gäste ins Städtchen. Auch für die Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein ist es ein guter Sonntag. Geschäftsführer Remo Rey relativiert die Freude allerdings: «Im Gesamten gesehen dümpeln wir selbst unseren für dieses Jahr tiefer angesetzten Zielen hinterher. Wir rechneten mit 30 Prozent weniger Gästen als vor Corona. Aktuell liegen wir bei einem Einbruch von 37 Prozent.» Dies sei teilweise auch dem garstigen Wetter im Juni zuzuschreiben, ergänzt er und hofft auf einen schönen Hochsommer, damit es doch noch ein Happy End gebe. So wie übrigens für den Berner Bub an diesem Sonntag in Stein am Rhein. Rund eine Stunde nach dem tränenreichen Protest gegen den Apfel als Zvieri sitzt der Kleine vergnügt am Rheinufer – mit einem «Schogoglacé» in der Hand.