A.* war Mitte 30, hatte einen guten Job und wünschte sich nun nichts mehr als eine Familie. Zum richtigen Zeitpunkt lernte sie G.* auf einer Internetplattform kennen. Ein charmanter, erfolgreicher und selbstbewusster Mann, der dieselben Interessen wie A. hatte. Und auch er suchte eine Partnerin für die Zukunft. A. dachte «Bingo, ich habe meinen Traummann gefunden.» Je besser sie G. kennenlernte, desto mehr erfuhr sie über seine wahre Persönlichkeit. Durch seine Wutausbrüche und psychische Gewalt wurde aus der selbstbewussten Frau ein unsicheres Mädchen. 12 Jahre später schaffte es die heute 55-Jährige, sich aus der Beziehung zu lösen und über das Leben an der Seite eines Narzissten zu sprechen. Es folgt ein Erfahrungsbericht.
Die wundervolle Beziehung
Als ich G. vor etwa 15 Jahren kennenlernte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Wir teilten viele Interessen, und er zeigte mir schnell unsere gemeinsamen Zukunftsperspektiven auf. G. bot mir alles, was ich mir schon lange gewünscht hatte. Vor allem war er ein sehr aufmerksamer Mann, er beschenkte mich oft und wir reisten viel. Meine Welt war wundervoll. Ich fühlte mich, als hätte ich mit ihm den ganz grossen Preis gewonnen. Heute weiss ich, dass er mich gewählt hatte, da ich seine äusserlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf Grösse, Haarfarbe und Figur erfüllt hatte. Und ich gab ihm das, was er nicht hatte: Eine intakte Familie sowie ein stabiles soziales Umfeld mit vielen Freunden. Nach nur einem Jahr Beziehung heirateten wir. Narzissten binden sich sehr schnell, um das Gegenüber abhängig zu machen. Und in dem Moment, als ich mich auf ihn einliess, kam der Wendepunkt. Den ersten Wutausbruch hatte G. nach einer Party, an der ich mit einem anderen Mann tanzte, weil er selbst keine Lust hatte. Vor den anderen waren wir immer das Traumpaar, aber kaum sassen wir im Auto schrie er mich an und machte mich klein. Er stellte sich selbst immer als Opfer dar und ertrug es nicht, wenn ich widersprach oder ihn kritisierte.
Immer in seinem Schatten
Dieser Mann konnte mich rhetorisch kaputtreden. Sobald ich in seinen Augen etwas Falsches gesagt oder getan hatte, brach ein Inferno aus. Manchmal ging es 15 Minuten, manchmal 60 Minuten. Er entschied, wann ich mich entschuldigen durfte. Sehr oft sagte er mir, dass ich nicht selbstbewusst genug sei, ich wurde immer als unwissend dargestellt. Er bestimmte, welche Kleider und Schuhe ich trug. Meine Meinung war von keinerlei Relevanz, meine Bedürfnisse waren ihm egal. Durch Manipulation zwang er mir seine sexuellen Wünsche und Fetische auf. Ich machte alles mit, weil ich hoffte, dass er so wieder netter wird. Ich wurde von der selbstbewussten Frau zum «Huscheli». Ich lief, nicht nur wörtlich gesehen, immer einen Schritt hinter ihm. Heute blicke ich zurück auf eine Beziehung, die aus Lügen bestand. Er hat mich nicht geliebt, er brauchte nur eine Bühne. Sein ganzes Leben ist eine Show. Wie ein Energievampir raubte er mir meine Kraft. Gesundheitlich ging es mir immer schlechter, neben Verspannungen bekam ich Mangelerscheinungen. Trotzdem blieb ich mit G. zusammen. Um des Friedens Willen, denn ich hatte Angst vor weiteren Wutausbrüchen. Wenn ich alleine unterwegs war, wollte er genau wissen wo und mit wem ich mich traf. Und über was wir sprachen, denn ich durfte auf keinen Fall auspacken. Es ging so weit, dass ich meine eigenen Freundschaften nicht mehr pflegte, da er mein gesamtes soziales Umfeld schlechtgeredet hatte. Narzissten lügen einem eiskalt ins Gesicht. Wenn er sagte «Ich weiss genau, was du denkst», dann wusste er das, weil er mein Handy gehackt hatte. Auch wenn ich nie etwas zu verbergen hatte, war das für mich das Demütigendste.
Sich selbst wiederfinden
Es kam der Punkt, an dem er alles kaputt gemacht hatte, was mir wichtig war. G. schlug mich nie, doch psychisch hat er mich zerstört. Von meinem WhatsApp-Account aus versendete er Nachrichten mit Lügen, um meine Freundschaften zu zerstören. Ich begann mich einsam zu fühlen und haute mehrmals ab, doch ich verzieh ihm oft. Nach 12 Jahren konnte ich nicht mehr und verliess ihn, von heute auf morgen. Für G. war das schlimm, denn Narzissten werden nicht verlassen, sondern sie verlassen ihre Opfer. Innert einer Woche mietete ich eine Wohnung und begann eine Therapie. Zusätzlich besuchte ich eine Selbsthilfegruppe. Der Austausch mit Frauen, die auf gleiche Art ausgesaugt wurden, tat mir gut. Ich musste zu mir zurückfinden und wieder lernen, meine eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Heute, drei Jahre später, bin ich wieder ich selbst. Eine selbstbewusste Frau, die glücklich ist und sich traut, ihre Meinung zu sagen.
*Namen der Redaktion bekannt