Armin Ziesemer ist zertifizierter Märchenerzähler. Nein, er erzählt Märchen nicht nur frei auf Kleinkunstbühnen. Er beschäftigt sich weiter mit den Wirkmechanismen der Volksmärchen (mündlich überlieferte Märchen) und nutzt sie in Beratungen. Der 44-jährige Schaffhauser absolvierte einst die humanistische Matura und studierte Physiotherapie, wo er erstmals selbständig tätig war. Nach einer Weltreise entschied er sich 2005, in der Wirtschaft Fuss zu fassen. Nebst seiner Tätigkeit in der strategischen Markenentwicklung studierte er Betriebsökonomie. Danach war er zehn Jahre im Finanz- und Rechnungswesen tätig. Heute arbeitet er Teilzeit mit Zahlen und Prozessen im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Vor fünf Jahren begann er dann den Ausbildungsweg mit der psychologischen Methode der Transaktionsanalyse. Diese Kompetenzen verbindet er seit 2017 in seiner Firma Synop-Sys, wo er Organisationen und Einzelpersonen begleitet sowie Erzählanlässe und -reisen realisiert.
Die Arbeit mit Märchensymbolik
Armin Ziesemer bietet in Digitalisierungsprojekten, Führungssituationen oder anderen Themen dort Unterstützung, wo beziehungsbezogene Fragestellungen in organisationalen oder persönlichen Belangen geklärt sein wollen. Dabei nützt ihm sein breiter Wissensschatz aus der Betriebsökonomie, der Transaktionsanalyse, der Erzähltradition (Storytelling) sowie der Mythologie. «Märchen sind für mich weit mehr als nur Geschichten. In ihnen sind ganze Biografien in Kürze zusammengefasst. Sie sind auch ein Arbeitsinstrument für Transformationsprozesse», erklärt er. Er arbeitet mit Märchenmotiven und sucht nach ihren Bezügen zum individuellen Lebenskontext. Denn Märchen schaffen innere, ganz ureigene Bilder. «Eine typische Märchensymbolik ist die verschlossene Tür. Erst wenn der Held diese öffnet, kann ein Entwicklungsschritt passieren, kann echte Bewegung ins System kommen», so Armin Ziesemer.
Wesentlich dabei ist für ihn die Transaktionsanalyse. Die psychologische Methode analysiert die Kommunikation zwischen Menschen und bietet für die Beratung geeignete Modelle, um gemeinsame Realitäten und Beziehungen konstruktiv zu gestalten. In der Organisationsentwicklung sind die Märchen Verfremdungsinstrumente. «Organisationen sind oft in ihrer Kultur, ihren Normen, Regeln und Strukturen festgefahren. Hier unterstützen Märchen dabei, eine Situation aufzulockern, zu entfremden und eine offene Kommunikation von Mensch zu Mensch zu fördern», erläutert er. Sein Ziel ist, dass Organisationen und Einzelpersonen sich sinnstiftend verändern, lernen zu integrieren und mithilfe der Märchensymbolik neue Perspektiven erfahren. «Am Schluss geht es darum, dass die Energie in einem System neue Wege findet, sich selbst zu optimieren. Das habe ich bereits als Physiotherapeut gelernt.»
Für jeden Kontext passendes Märchen
«Damals empfahl mir eine Bekannte ein Einführungswochenende für das Erzählen. Dort wichen meine anfänglichen Widerstände einer totalen Begeisterung», erinnert er sich. So absolvierte Armin Ziesemer die zweijährige Ausbildung zum zertifizierten Erzähler. Dazu gehört nicht nur das sogenannte Sich-Einverleiben und Ausdrücken von Märchen. Ebenso werden die Erzählstimme und die Bühnensicherheit trainiert wie auch die Selbsterfahrung mit der Märchensymbolik entwickelt. Märchen wurden ursprünglich unter Erwachsenen erzählt und waren eigentlich – bis zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm – nicht wirklich für Kinderohren bestimmt. «Märchen sollten bewusst ausgewählt werden; denn kindliche Ängste können in jedem Alter auftreten», meint er. «Auch in der Beratung suche ich für jeden Kontext das passende Märchen. Das ist die Kunst bei der Arbeit mit Märchen.»