Am 29. November stimmt das Schweizer Volk über die Initiative mit dem Titel «Für verantwortungsvolle Unternehmen» ab. Die Initiative verlangt, dass Schweizer Unternehmen die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards einhalten, und sie will gegen Fehlverhalten von Konzernen wie Nestlé oder Glencore vorgehen. Kritikerinnen und Kritiker beanstanden, dass sie weniger die Grosskonzerne, sondern vor allem KMU hart treffe. Um dieses emotionale Thema zu diskutieren, hat der «Bock» zwei Freunde eingeladen. Der reformierte Theologe Ruedi Waldvogel und der Unternehmer Giorgio Behr besuchten zusammen die Kanti in Schaffhausen. Sie seien gute Freunde, in der Sache aber gehen ihre Meinungen auseinander. Wegen Corona hat der «Bock» die beiden via Videokonferenz zum Streitgespräch getroffen.
«Bock»: Herr Waldvogel, Sie sind in Schaffhausen lange Zeit für die Hilfswerke «HEKS» und «Brot für alle» verantwortlich gewesen und setzen sich jetzt für die Unternehmensverantwortungsinitiative ein. Warum ist sie aus Ihrer Sicht so wichtig?
Ruedi Waldvogel: Ich habe damals bei meiner Arbeit für die Hilfswerke schon viele Meldungen erhalten über Umweltverschmutzungen, gravierende Umweltschäden, Vertreibung von Bauern und Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Firmen, die ihren Sitz in der Schweiz haben. Die Initiative ist eine Möglichkeit, um Pflöcke einzuschlagen und zu sagen: «Wenn ihr euch nicht an die Grundwerte haltet, kann die Gegenseite klagen.» Das Geld wird auch in die Schweiz transferiert, warum sollen sich die Firmen dann nicht auch in der Schweiz verantworten?
Herr Behr, das klingt doch vernünftig. Warum sind Sie trotzdem dagegen?
Giorgio Behr: Die Initiative nimmt unglaubliche Kollateralschäden in Kauf, weil sie über den Einbezug von Lieferketten und Kundenketten dazu führt, dass am Schluss nicht die wenigen fehlbaren Konzerne anvisiert, sondern vor allem KMU bestraft werden. Ich teile die Ziele von Ruedi Waldvogel völlig: Schutz der Menschenrechte, Schutz der Umwelt. Aber diese Ziele erreichen wir nicht, wenn wir im Ausland als Herren im Haus auftreten. Es ist ein Etikettenschwindel und eine Irreführung der Bürgerinnen und Bürger. Wir stimmen nicht über den Schutz von Menschenrechten ab, sondern wir diktieren dem Ausland, wie es gehen soll und treffen am Schluss die Falschen – KMU
Waldvogel: Es geht nicht darum, dass andere Länder keine besseren Gesetze machen können. Es geht darum, Menschen eine Chance zu geben, die wegen eines zu schwachen Gesetzesschutzes Opfer werden. Und das mit den KMU ist eine Pauschalisierung. Es gibt auch viele KMU, die Unterlieferanten von Konzernen sind. Goldhandelsfirmen in der Schweiz sind vom Personalbestand her ein KMU. Wenn man die Geldmengen betrachtet, mit der eine solche Firma handelt, ist es eine richtig grosse Firma. Ich finde es stossend, wenn das Land des Roten Kreuzes Firmen unterstützt, die Menschenrechte missachten. Die Wirtschaft sollte langsam merken, dass nur der Weltwohlstand massgebend sein kann und nicht der Aktienkurs einer Firma. Die Initiative ist ein Schritt in diese Richtung.
Behr: Wir haben ja die gleichen Ziele, nur ist das der falsche Weg. Und mich stört es, dass du hier Wirtschaftsleute belehrst, als ob wir umweltschädigend und menschenverachtend arbeiten würden. Wir Schweizer Unternehmer haben auf der ganzen Welt einen guten Ruf bezüglich des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt. Ihr nennt immer die gleichen wenigen Firmen, die da angeblich «sündigen» und stellt die ganze Schweizer Wirtschaft unter Generalverdacht.
Warum würden denn die kleinen und mittleren Unternehmen aus Ihrer Sicht dermassen unter dieser Initiative leiden, Herr Behr?
Behr: Nehmen wir das Beispiel Kautschuk. Du kannst nie genau sagen, woher alle einzelnen Zutaten der Mischung kommen. Keine Chance. Deshalb ist diese Initiative viel zu breit, weil sie den KMU die Arbeit verunmöglicht.
Waldvogel: Das ist ein Gespenst! Wenn eine Firma einen Vertrag abschliessen kann, um Kautschuk einzukaufen, sollte sie auch nachvollziehen können, von welchen Bauern das Rohmaterial stammt. Das finde ich zumutbar, und das gefährdet die Existenz von ganz wenigen oder gar keinen Firmen.
Behr: Eben doch. Das Problem ist, wenn du Materialien hast, die dir ein Grosskonzern liefert, kannst du das nicht kontrollieren und dessen vielen Quellen nachgehen. Oft sind es in solchen Ländern Staatskonzerne. Die geben dir eine Bescheinigung, aber nachvollziehen kannst du nichts. Die Initiative verlangt hier etwas, das gar nicht möglich ist.
Das Parlament hat einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet, bei dem eine stärkere Sorgfaltspflicht im Zentrum steht. Herr Waldvogel, wäre das nicht ein guter Kompromiss?
Waldvogel: Dem Gegenvorschlag fehlen die Zähne. Er ist zwar bei der Sorgfaltspflicht identisch. Was aber nicht vorgesehen ist, ist eine Klagemöglichkeit. Und die wäre wichtig. Diejenigen Firmen, die sich korrekt verhalten und eine umfassende Sicht ihrer Tätigkeiten und deren Wirkung auf die Welt haben, sind gar nicht betroffen von dieser Initiative. Gegen diese Firmen wird nicht geklagt, weil die Hürden für eine Klage hoch sein werden.
Herr Behr, ist Ihnen denn die Wirtschaft wichtiger als die Menschenrechte?
Behr: Auf keinen Fall. Wir verfolgen ja die gleichen Ziele. Diese Initiative ist eine Chance, wenn wir den Gegenvorschlag nehmen. Bei einem Ja befürchte ich, dass sich viele Firmen sagen, dass sie Tochtergesellschaften in gewissen Ländern schliessen. Dann rücken andere nach, die wahrscheinlich weniger auf die Einhaltung der Menschenrechte achten, und dann haben auch die Leute vor Ort verloren.
Waldvogel: Die Initiative gibt nur den Rahmen vor. Die genaue Gesetzgebung muss anschliessend im Parlament ausgearbeitet werden, und hier soll auch auf die Lage der KMU geachtet werden.