Etwas abgelegen vom Dorfkern der Gemeinde Dachsen liegt der Mühlebachhof – ein Ort, der besonders in den warmen Monaten zum kleinen Magneten wird. Dann schlendern Menschen zwischen langen Erdbeerreihen, füllen Körbe mit frisch gepflücktem Gemüse oder Obst und geniessen die kurze Auszeit des Landlebens. Doch das ist längst nicht alles, wofür der Hof in der Region bekannt ist. Neben Gänsen, Eseln, einem Alpaka und einem Lama lebt hier seit etwas mehr als sieben Jahren auch eine kleine Herde von Rentieren. Ja, Rentiere. Tiere, die man wohl eher weit im Norden oder in Weihnachtsgeschichten erwartet – und nicht unbedingt auf einem Hof im Zürcher Weinland. Rentierhalter in der Schweiz? Davon gibt es nur eine Handvoll, denn eine Bewilligung zu erhalten, ist nicht ganz einfach. Eine davon ist die Landwirtin Salome Fürst aus Dachsen.
Die ganze Familie hilft mit
Der Mühlebachhof ist ein Familienbetrieb durch und durch. Seit 1990 wird er von Walter und Katharina Fürst betrieben. Im Januar 2023 übernahm ihre Tochter Salome den Hof. Doch allein ist sie nie: Ihre Eltern sind weiterhin Tag für Tag dabei, packen mit an, springen ein, wenn vier zusätzliche Hände gefragt sind. Aber wie kommt man dazu, ausgerechnet Rentiere auf den Hof zu holen? Eine Idee, die etwas ungewöhnlich klingt und doch, wie Salome Fürst erklärt, im richtigen Moment aufgetaucht ist. «Eigentlich war es Zufall», so die Landwirtin. Nach ihrer Ausbildung als Landwirtin und Agrotechnikerin entschied sie sich, eine Weiterbildung im Bereich Wildtierhaltung zu machen. Dort kam sie – neben Hirschen und Rehen, zum ersten Mal richtig mit Rentieren in Berührung. Die Tiere faszinierten sie sofort. «Rentiere sind zwar Wildtiere, aber unglaublich zutraulich, viel mehr als beispielsweise Hirsche», erzählt sie. «Mit ihrer ruhigen, neugierigen Art habe ich mich direkt in sie verliebt. Mir war klar: Ich wollte etwas Besonderes, nichts 0815-Mässiges auf unserem Hof.»
Zur selben Zeit stellte die Familie die Milchviehhaltung ein. Die freigewordenen Weideflächen boten Platz für Neues. «So begann ich mich intensiv mit allen Voraussetzungen, Bedürfnissen und Vorschriften für Rentierhaltung zu befassen», fügt Salome Fürst hinzu. «Im Unterschied zu Hirschen ist die Rentierhaltung in der Schweiz etwas komplizierter: Es gibt keine eigene Gesetzgebung. Viel läuft über die Regeln für Rothirsche.»
Im Kanton Bern wurde Salome Fürst dann bei einem Rentierzüchter schliesslich fündig. «Beim ersten Besuch war es um mich geschehen», sagt sie. Vier Rentiere hatte sie reserviert; wie es der Zufall wollte, kamen dann noch weitere dazu, da der Züchter aufhören wollte. Im November 2018 zogen die Tiere in Dachsen ein. Heute, einige Jahre später, ist aus der kleinen Herde eine stattliche Truppe geworden: Insgesamt 14 Tiere leben inzwischen auf dem Mühlebachhof und verleihen dem Hof einen Charakter, der kaum zu übersehen ist.
Sommer, Sonne und Rentiere?
Wer an Rentiere denkt, denkt wahrscheinlich automatisch an Schnee, Eis und kalte Winter. Doch wie kommen die Tiere mit Schweizer Sommern klar? Salome Fürst winkt ab: «Rentiere können durchaus wärmere Temperaturen aushalten. Viele vergessen, dass es selbst in nördlichen Ländern an Sommertagen bis zu 30 Grad warm wird.» Die Hitze ist also für die Tiere kein Problem, sie haben Schattenplätze, kühle Rückzugsorte und sogar ein eigenes kleines Chalet auf dem Hof.
Adventsweg, Winterzauber und Rentier-Trekking
Wenn der Winter kommt und die Tage kürzer werden, verwandelt sich der Mühlebachhof in eine kleine Adventswelt. Die Familie Fürst organisiert seit einigen Jahren einen Adventsweg mit 24 liebevoll gestalteten Fenstern, dekoriert von Schulklassen, Familien und Menschen aus dem Dorf. Der ganze Hof wirkt dann wie aus einem Weihnachtsmärchen.
Und wer Lust auf ein besonderes Erlebnis hat, dem bietet Salome Fürst in den Wintermonaten Rentier-Trekking an: Mit einer kleinen Gruppe spazieren Besucherinnen und Besucher mit den Rentieren eine Route ab, ein nicht alltägliches Erlebnis. Theoretisch könnte sie solche Touren öfter anbieten, doch Salome Fürst bleibt bewusst zurückhaltend: «Die Tiere sind immer noch Wildtiere. Ich möchte sie nicht überlasten.» Sie merkt aber: Die Nachfrage steigt. Solche Angebote gibt es schon lange in Amerika, und der Trend schwappte nach Europa.
Lernen, wachsen und weitergehen
Seit fast zwei Jahren liegt der Hof nun offiziell in Salome Fürsts Verantwortung. Es gibt immer viel zu tun, aber das ist genau das, was sie will. In den ruhigeren Wintermonaten gönnt sie sich manchmal eine Pause und reist ein bisschen, bevor die Arbeit für die neue Saison beginnt. Dann startet sie die Vorbereitung auf die kommende Tulpen- und Aussaatzeit. Ob sie sich ein Leben ohne Tiere vorstellen kann? «Ehrlich gesagt – nein», sagt Salome Fürst. «Die Tiere gehören zu meinem Leben, genauso wie die Hofarbeit und die Landwirtschaft. Ich könnte mir kaum vorstellen, jeden Tag in einem Büro zu sitzen. Ich brauche eine handwerkliche Arbeit.» Die Leidenschaft ist noch lange nicht vorbei. «Ich bin immer noch am Hineinwachsen», sagt sie. «Erst seit zwei Jahren leite ich den Betrieb, und ich lerne jeden Tag neu dazu. Genau das macht das Leben auf unserem Hof aus.»