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Umwelt
02.09.2025
02.09.2025 15:16 Uhr

«Wissen allein führt nicht zu Handeln»

Prof. Dr. Reto Knutti: «Wir müssen den Willen zurückgewinnen, Zukunft zu gestalten, statt einer Wilhelm-Tell-Vergangenheit nachzutrauern.»
Prof. Dr. Reto Knutti: «Wir müssen den Willen zurückgewinnen, Zukunft zu gestalten, statt einer Wilhelm-Tell-Vergangenheit nachzutrauern.» Bild: Manuel Rickenbacher
ETH-Klimaforscher Reto Knutti spricht am Freitag im Meetingpoint anlässlich von «4 Jahre Schaffhauser Klimastrategie». Im «Bock» gibt er vorab Auskunft.

Bock: Herr Prof. Dr. Knutti, wie haben Sie diesen Sommer erlebt?
Reto Knutti: Ich war für ein Forschungssemester in Norwegen. Dort wurde im Juli der heisseste Monat seit 50 Jahren gemessen. 30 Grad über dem Polarkreis. In der Schweiz war der Juli zwar wechselhaft, doch durch den heissen Juni und August wird der Sommer insgesamt zu den wärmsten zählen.

Viele klagen über die Hitze, doch fürs Klima setzen sich nur wenige ein. Warum? 
Knutti: Klimaschutz ist komplex. CO₂ steckt in Verkehr, Gebäuden, Ernährung. Massnahmen, die ich heute treffe, wirken später und nützen oft primär anderen. Und obwohl Klimaschutz ökonomisch als Gesellschaft Sinn macht, braucht es kurzfristig Investitionen.

Für viele ist Klimaschutz gleichbedeutend mit Mehrkosten und Verzicht. Wie kann man Klimaschutz positiv vermitteln?
Knutti: Oft profitieren wir direkt. E-Autos oder Wärmepumpen sind heute günstiger im Betrieb, ohne Verzicht. Schwieriger ist es dort, wo Verursacher ihre Kosten nicht zahlen. Diese tragen wir alle über Gesundheitskosten, Unwetterschäden oder geopolitische Abhängigkeiten. Hier braucht es politische Rahmenbedingungen. Geld und Technologie sind da, es hapert an der Umsetzung.

Wie gehen Sie als Wissenschaftler mit der Diskrepanz um, dass Fakten klar sind, aber gesellschaftliche Reaktionen oft zögerlich bleiben?
Knutti: Wissen allein führt nicht zu Handeln. Wenn der Arzt mir sagt, ich soll mehr Sport treiben, dann mag das richtig sein, aber es ist nicht klar, ob ich das dann mache. Manchmal sind wir einfach zu faul, egoistisch und kurzsichtig. Das ist frustrierend, und das politische Umfeld hilft im Moment auch nicht. Aber ich bin überzeugt, dass wir die Menschen mitnehmen können, wenn wir ihnen einfache, günstige Alternativen aufzeigen.

Wenn der Kanton Schaffhausen 100 neue Bäume pflanzt, hat kaum jemand etwas dagegen. Wie viel bringen solche Begrünungsmassnahmen oder Schwammstadt-Ansätze tatsächlich
Knutti: 100 Bäume senken CO₂ kaum.  Aber Hitze in Städten ist ein grosses Problem, und Bäume und Grünflächen sind eine einfache Massnahme, um das Stadtklima und die Biodiversität zu verbessern.

Bei der Treibhausgasminderung orientiert sich der Kanton Schaffhausen an den nationalen Zielen. Reichen sie aus?
Knutti: Netto-Null im Jahr 2050 ist ein gutes Ziel. Man darf aber nicht vergessen, dass der Kanton nur für gewisse Sektoren wie diejenigen aus den Gebäuden verantwortlich ist. Flugreisen, individueller Konsum von Produkten oder Ernährung sind nicht Aufgaben der Kantone.

Wo sehen Sie bei kantonalen Klimastrategien denn noch Lücken oder ungenutztes Potenzial?
Knutti: Ziele und Strategien alleine genügen nicht. Oft fehlt es an konkreten Gesetzen, Anreizen, an Geld für Innovation oder Subventionen. Oder wie das Sprichwort sagt: «Machen ist wie wollen, nur krasser». Potenzial liegt zum Beispiel in Effizienz und Digitalisierung etwa über intelligente Heiz- und Gebäudesteuerungen. 

Welche Rolle kann ein einzelner Kanton wie Schaffhausen im globalen Kontext spielen? Sind alle Massnahmen nicht nur ein Tropfen auf den heissen Stein?
Knutti: Jeder allein ist klein. Und gleichzeitig geht es nur, wenn alle beitragen. Die Schweiz hat Technologie, Wissen und Kapital, um voranzugehen. Wenn wir es geschickt machen, dann profitieren wir über sauberere Luft, weniger Lärm, und mehr Wertschöpfung durch Innovation, egal wie schnell es die anderen tun.

Wenn Sie in 20 Jahren auf die Klimapolitik der Schweiz zurückblicken, was müsste geschehen sein, damit Sie sagen: «Wir haben es richtig gemacht»?
Knutti: Wir müssen den Willen zurückgewinnen, Zukunft zu gestalten, statt einer Wilhelm-Tell-Vergangenheit nachzutrauern. Wir haben die meisten technischen Lösungen und es lohnt sich volkswirtschaftlich, aber es fehlt in der Umsetzung. Wenn die Aufbruchstimmung wieder da ist, können wir es schaffen. Das braucht nicht 20 Jahre und so viel Zeit haben wir auch nicht. Ziehen wir doch in fünf Jahren Bilanz!

Die kostenlose Veranstaltung «4 Jahre Klimastrategie in Schaffhausen» findet am 5. Sept., ab 17 Uhr im Meetingpoint statt.
Anmeldung / Infos: energie-agenda.ch

Claudia Riedel, Schaffhausen24