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Gesellschaft
26.08.2025

Wenn Kinder zählen statt rechnen

«Für Menschen, die gut rechnen können, ist es schwer zu verstehen, dass andere damit Probleme haben», sagt Jana Rubli.
«Für Menschen, die gut rechnen können, ist es schwer zu verstehen, dass andere damit Probleme haben», sagt Jana Rubli. Bild: Claudia Riedel
Mit dem Schulanfang beginnt für viele Kinder ein neues Kapitel – das Rechnen. Während es den einen wie selbstverständlich von der Hand geht, stehen andere ratlos vor den Aufgaben. Für sie ist das Zählen oft die einzige Strategie. Doch die stösst bald an ihre Grenzen. So erging es auch der Tochter von Jana Rubli. Erst durch das sogenannte Würfelhaus-Konzept fand sie Zugang zur Welt der Mathematik.

«2 x 3 macht 4 widdewiddewitt und 3 macht 9e…» – was bei Pippi Langstrumpf verspielt und lustig klingt, ist für viele Kinder harte Realität. Wer beim Rechnen nicht mitkommt, erlebt Frust statt Leichtigkeit. Das hat auch Jana Rubli aus Dachsen erfahren. Die dreifache Mutter merkte bei ihrer jüngsten Tochter schnell: Mathe bedeutete Stress. Zahlen wurden verdreht, Aufgaben dauerten ewig, manchmal half nur Abschreiben. «Irgendwann suchte ich das Gespräch mit den Lehrkräften», erzählt Rubli. Die Tochter besuchte fortan die integrative Förderung – doch der Knopf beim Rechnen ging nicht auf. 

Mit Fingern und Zehen zählen

Das Problem: Die Tochter rechnete nicht, sondern zählte nur. «Viele Kinder wissen gar nicht, dass es da einen Unterschied gibt», sagt Jana Rubli. Und es fällt auch oft nicht auf. In der ersten Klasse rechnen die Kinder bis 20. Das geht gut, indem sie mit den Fingern zählen oder einige Rechnungen auswendig lernen. Schwieriger wird es dann in der zweiten Klasse, wenn die Rechnungen bis 100 gehen. Doch Rublis Tochter wurstelte sich weiter durch. «Sie nahm noch ihre Zehen dazu, die Finger von Schulgspändlis, visualisierte vor dem inneren Auge Zahlenreihen und wenn sie sich nicht verzählte, gabs durchaus eine Trefferquote.»

Das Mengenverständnis schulen

In der dritten Klasse, im Tausenderraum, war dann endgültig Schluss. Der Druck stieg, die Motivation sank. «Zeitweise wollte unsere Tochter gar nicht mehr in die Schule», erzählt Rubli. Auf der Suche nach Lösungen stiess die Sozialpädagogin und Familienberaterin auf das Würfelhaus-Konzept. Dabei wird das Mengenverständnis gezielt geschult. Der Name lässt es erahnen, es wird mit dem Würfel und der Anordnung der Punkte auf dem Würfel gearbeitet und mit Häusern. Es gibt ein Einerhaus. Wenn neun Punkte eingezogen sind, beginnt es zu wackeln. Mit dem zehnten Punkt ist es zu voll – dann wird ins Zehnerhaus gewechselt. Rubli erklärt: «Viele Kinder haben kein Verständnis für die Zehner und die Einer. Ihnen ist nicht klar, warum die 10 eine Null hat. 28 – 14 ist für sie schwierig zu rechnen.» Hier würden die Eltern dann oft den Tipp geben: «Du nimmst von der 2 eins weg und von der 8 vier.»  «Das können die Kinder dann vielleicht sogar, aber wenn es dann heisst, 23 – 19, funktioniert die Methode nicht mehr.»

Beim Würfelhaus-Konzept gibt es ein Einerhaus, das zu wackeln beginnt, wenn 9 Punkte eingezogen sind. Mit dem zehnten Punkt ist es zu voll, dann wird ins Zehnerhaus gewechselt. Bild: Claudia Riedel

«Rechnen ist sehr individuell»

Darum sei es nicht immer förderlich, wenn Eltern ihren Kindern Lösungswege aufzeigten. «Rechnen ist sehr individuell. Doch Kinder, die ein Rechenproblem haben, kann das zusätzlich verwirren.» Heute arbeitet Rubli selbst als Würfelhaus-Praktikerin und unterstützt andere Familien. In ihren Kursen zeigt sich oft, wie tief das Problem liegt: «Ich frage ein Kind zum Beispiel: ‹Ich habe 3 Zeltli und du 5, wer hat mehr?› Dann ist das für viele schwierig, doch sie kommen drauf, weil 5 in der Zahlenreihe nach der 3 kommt. Wenn ich dann frage: ‹Wie viel mehr hast du denn?›, antworten die meisten ‹5›.» Denn diese Kinder verstehen nicht, dass die 3 und die 2 auch ein Teil der 5 sind. «Für sie steht jede Zahl einzeln da.»
Für Menschen, die gut rechnen können, sei es oft schwer zu verstehen, dass andere damit Probleme haben. Darum sei es wichtig, auch die Eltern einzubeziehen und im besten Fall mit den Lehrpersonen im Austausch zu stehen. Rubli betont: Das Würfelhaus soll den Schulunterricht nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen. «Es ist eine mögliche Hilfe für Kinder, die im Regelunterricht Mühe haben.» 

Eigene Wege gehen

Bei ihrer Tochter habe die Methode zum Glück sehr schnell Wirkung gezeigt: «Schon nach wenigen Wochen sahen wir Fortschritte.» Heute staunt die Mutter oft über die eigenen Rechenwege ihres Kindes. «Die sind ganz anders als meine – aber sie funktionieren.» Fast wie bei Pippi Langstrumpf: «Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.» 

Mehr Informationen über wuerfelhausverlag.de oder direkt bei jana.rubli@gmail.com (Tel. 077 431 36 58)

Claudia Riedel, Schaffhausen24