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Gesellschaft
18.06.2025

Resiliente Menschen

Marianne Stamm.
Marianne Stamm. Bild: zVg.
In der «Landfrauen Ecke» erzählt Marianne Stamm von einer Begegnung mit einer Gruppe Alt Mennoniten bei Frankfurt und dessen Berichte über Schiksale und Leid ihrer Anhängerinnen und Anhänger während der Zeit des Kommunismus. Sie selbst kennt die Glaubensgemeinschaft aus Kanada, wo sie aufwuchs.

In der Gegend Kanadas in der ich aufgewachsen bin, gibt es eine Gruppe Alt Mennoniten, unter ihnen die «Weissen Russen». Die meisten sind Bauern. Man sieht sie in der Stadt, die Frauen tragen blumige Röcke und über den langen Haaren tragen sie ein kleines weisses Kopftuch. Ich wusste nur, dass es sehr konservative Leute waren. 

Es war in Grünberg, östlich von Frankfurt, wo wir eine Gruppe dieser Glaubensgemeinschaft kürzlich kennen lernten und Geschichten von viel Leid durch Verfolgung aber auch Freude hörten.  Die Mitglieder der Christlichen Brüdergemeinde Grünberg sind mehrheitlich deutsche Aussiedler aus dem ehemaligen Ostblock. Viele, wie unsere Gastgeber Viktor und Anna Enns, kamen Ende der 1980er Jahre von Kasachstan nach gut zweihundert Jahren zurück nach Deutschland. Glaubensmässig sind sie Wiedertäufer aus der Mennonitischen Bewegung, welche ihren Ursprung in der Schweiz hatte, wie auch die Hutterer und die Amischen.  Durch die schlimme Verfolgung dieser Wiedertäufer verstreuten sie sich in weitere Teilen Europas. Viele der Mennoniten flüchteten nach Deutschland. 

Einladung nach Russland

Bei Annas herzhaftem Borschtsch erzählten sie uns etwas aus ihrer Geschichte: Etwa um 1760 suchte die Russische Zarin Katharina Menschen, um die öden Gegenden Russlands (zum Beispiel heute Ost Ukraine) zu besiedeln und Landwirtschaft zu betreiben. Sie bot gratis Land an und ein Startkapital. Viele Mennoniten in Deutschland nahmen diese Gelegenheit war. Geschäftige und tüchtige Menschen wie sie waren, brachten sie es bald zu einigem an Reichtum. Unter der Zarin hatten sie einen Sonderstatus, als Pazifisten mussten sie nicht in das Militär. 

Dann kam die Oktoberrevolution. Diese Landbesitzer wurden enteignet, einige wurden schon damals getötet oder verbannt. Ihr Land wurde Teil der grossen Staatsbetriebe. Einige der Brüder, wie sie sich später nannten, konnten dort weiterarbeiten und unter ihnen gediehen diese Höfe. 

Schrecken unter Stalin

Wirklich schlimm wurde es bei den Säuberungsaktionen von Stalin. Ihre Kirchenältesten und Leiter wurden getötet oder nach Sibirien verbannt, darunter auch beide Grossvätern von Viktor Enns. Zurück blieben vor allem die Frauen, die Alten, die Kinder und Buben unter 15 Jahren. Zusammen mit einer Frau und derem zehn Kindern floh Victors Grossmutter mit ihren sechs Kindern. Die andere Frau starb auf dem Weg und sie floh weiter mit den sechzehn Kindern, etwa 60 Kilometer bis zu einer Stadt, wo sie sich für den Moment sicher fühlten. Dort nahmen die Verwandten der Frau derer Kinder auf. 

Kurze Zeit später befahl Stalin die Verbannung nach Kasachstan von allen die ihm nicht passten, auch die Überreste der Mennonitischen Brüdergemeinde. Sie wurden in Viehwagons gepfercht und in die Wüste gesandt. 

Schicksale auf der Reise

Valentina Euschew erzählt mir, dass ihre Grossmutter hoch schwanger war während dieser «Fahrt». «In den ersten paar Tagen verlor sie zwei ihrer Kinder und das Ungeborene.» Es war Oktober, der harte Winter stand bevor. In der Wüste angekommen sagte man ihnen einfach, hier könnt ihr euch Höhlen graben zum Leben … 

Irgendwie überlebten sie und bauten sich dort ein neues Leben auf. Arbeit gab es in den Kohleminen. Ihr Glaube verbot es ihnen, der kommunistischen Partei beizutreten. Obwohl sie äusserst tüchtige Menschen waren, blieben sie immer die Arbeiter, nie die Vorarbeiter. Ihre Kinder wurden in der Schule schikaniert und konnten nie eine weiterbildende Schule besuchen.

Als die Sowjetunion zerfiel entschieden die meisten Brüder, wie sie sich nennen, wieder nach Deutschland zu gehen. Sie hatten Angst, die Kommunisten würden bald wieder die Macht ergreifen und eine neue Welle der Verfolgung anzetteln. In Deutschland fanden sie eine sehr freundliche Aufnahme. Sie durften fast nichts an Geld und Gut nach Deutschland mitnehmen. Hier aber wurde ihre Tüchtigkeit belohnt, sie wurden als Arbeiter sehr geschätzt, stiegen auf in den Firmen, ihre Kinder lernten gute Berufe, gingen an die Universität. 

Ein neues Leben in Wohlstand

Von der einstigen Armut sahen wir nichts mehr. Schöne grosse Häuser bewohnen sie, haben eine ansehnliche Kirche für 500 Menschen – alle halfen einander beim Bauen. Jeder hilft dem anderen, ohne Entgelt. Glaubensmässig sind sie sehr konservativ geblieben. 

Die Zeit mit diesen äusserst gastfreundliche Menschen, die Geschichten die sie erzählten, ihre Liebe zu einander und zu uns hat mich tief beeindruckt. Es gibt eben viele Arten, das Leben zu führen.

Schaffhausen24, Originalmeldung Schaffhauser Bauer