«Vloeistof ist bekannt für seine ortsspezifischen Tanzaufführungen im öffentlichen Raum, sowie an unerwarteten Orten wie auf einem Dach über dem Wasser, in Stadtzentren oder rund um und in Autos», erklärt Anja Reinhardt, Tänzerin, Choreografin und künstlerische Leitung von Vloeistof, im Austausch mit dem «Bock». Durch die Verbindung von Tanz mit alltäglichen Umgebungen lade Vloeistof das Publikum ein, Tanz auf innovative und fesselnde Weise zu erleben. Die Zuschauerinnen und Zuschauer würden dabei eine wichtige Rolle spielen und seien oft bewusst oder unbewusst Teil der Aufführung. Dadurch erweitere Vloeistof die Grenzen des Tanzes und dessen Erlebbarkeit.
Im Jahr 2000 gründeten der Niederländer Yuri Bongers und die Toggenburgerin Anja Reinhardt in Tilburg (NL) die Tanzorganisation Vloeistof. Das Erbe des Mitbegründer Yuri Bongers ehrend, setze sich Vloeistof auf zu- und eingängliche Weise mit gesellschaftlichen Themen auseinander.
«Den öffentlichen Raum sieht Vloeistof als ein Labor, um den Umgang mit den ‹Komplexitäten› des Zusammenlebens zu erlernen», sagt Reinhardt über die Tanzorganisation. Der öffentliche Raum biete für sie eine interessante Bühne, weil da Menschen zusammenkommen, und unterschiedliche Lebensstile, Standpunkte, Ansichten, Meinungen sowie manchmal auch Vorurteile aufeinandertreffen. Das Abenteuer ihrer Vorstellungen beginne damit, aus der eigenen ‹Blase› herauszutreten.
Die Umwelt im Fokus
Jede Show, die Vloeistof konzipiert, habe ein Kernthema. Dennoch gäbe es einen roten Faden, der sich durch alle Arbeiten ziehe, stellt die Choreografin klar: «Die Umwelt und unsere Beziehung zur Umwelt sind Themen, welche in mehreren von unseren Projekten eine grosse Rolle spielen, wie etwa bei ‹Wegwerfwelt›, ‹Green Journey› und ‹Hersenvakantie›.» Letzteres fokussiere sich speziell auf die Beziehung zum Boden. Zwei Tänzer würden sich bodennah durch den öffentlichen Raum bewegen und dabei verletzlich, rebellisch und hypnotisch zugleich wirken. Die Verschmelzung von Tanz, Klang und Raum führe zu einer Erfahrung, welche die Beziehung zum Boden und zu gesellschaftlichen Realitäten hinterfrage.
Haus ohne Halt
«Während eines Brainstormings zu einer Projekteingabe, fesselte uns das Bild vom Hausdach im Wasser. Vor fast zehn Jahren führten wir deshalb das Projekt mit dem Titel ‹Wir leben fröhlich weiter› an der Boschparade in Den Bosch auf.» Dieser Auftritt an der Kunstparade im Wasser, könne als Prototyp für «Sliding Slope» angesehen werden, schildert die Tänzerin dessen Geburtsstunde: «Wir hatten damals das Gefühl, dass die Menschheit an einem Wendepunkt steht, es aber nicht wahrhaben möchte.» Das Hausdach im Wasser habe eine starke Wirkung auf sie gehabt. Das Haus als Symbol von Geborgenheit, wirke aufgrund dessen, dass nur noch das schräge Dach aus der Flut rage und «Halt» biete, plötzlich unwirtlich. Den Elementen Sonne, Regen und Wind ausgesetzt, biete das Haus den passenden Rahmen für dieses unterdessen in Politik und Medien prominenter vertretene Thema.
«Auf dem rutschigen Untergrund kämpfen vier Menschen ums Überleben. Werden Sie es schaffen? Wer wird versuchen für alle eine Lösung zu finden und wer will nur seine eigene Haut retten?» Die Inszenierung spiele mit Motiven wie Verletzlichkeit, Balance und Spannung. «Es geht um Kontrollverlust und das vielleicht grösste Talent der Menschheit: die Verleugnung dessen, was wir selbst geschaffen haben», beschreibt Anja Reinhardt das Leitthema von «Hellend Vlak» (Sliding Slope).
Die Aufführung auf dem rutschigen Dach, welches als Metapher für den instabilen Zustand unserer Zeit diene, feiert an den Schaffhauser Kulturtage Schweizer Premiere.