Schaffhauser Bauer: Herr Brüngger, Sie haben als Kind viel Zeit auf Bauernhöfen verbracht und auch während der Coronazeit auf einem Spargelfeld gearbeitet. Wie haben diese Erfahrungen Ihre Sicht auf die Schweizer Landwirtschaft geprägt?
Severin Brüngger, Ständeratskandidat FDP: Ich durfte erfahren, was die Bauernfamilien für uns jeden Tag leisten. Wie viel Leidenschaft, Ausdauer und Verantwortungsbewusstsein hinter jedem landwirtschaftlichen Produkt steckt. Zudem weiss ich, wie anspruchsvoll und streng die Arbeit ist. Hier wird nicht um 16 Uhr ausgestempelt, sondern gearbeitet bis die Arbeit getan ist.
Im Bundeshaus werden aktuell die Grundlagen für die Agrarpolitik ab 2030 erarbeitet. Die Ziele für die Landwirtschaft sind vielfältig: Versorgungssicherheit, angemessenes Einkommen, intakte Landschaft und Biodiversität, Ökologie. Wird hier nicht zu viel gefordert?
Brüngger: Es ist richtig, dass die Landwirtschaft heute sehr viele Erwartungen erfüllen soll – teilweise widersprüchliche. Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Landwirtinnen und Landwirte nicht mit immer neuen Anforderungen belasten. Ich bin ein Freund von Selbstverantwortung und setze mich dafür ein, dass die Agrarpolitik realistisch bleibt, bürokratische Hürden abgebaut werden und den Fokus auf die unternehmerische Freiheit der Betriebe gelegt wird.
… und wo sind Zielkonflikte vorprogrammiert?
Brüngger: Ein klassischer Zielkonflikt zeigt sich zwischen Ökologie und Produktivität. Wir wollen mehr Biodiversität und gleichzeitig eine höhere Versorgungssicherheit. Beides ist wichtig – aber es braucht kluge Kompromisse. Technologische Innovationen, Digitalisierung und Forschung können helfen, diese Spannungsfelder zu entschärfen. Statt Verbote und Moralisierung brauchen wir Anreize und Vertrauen in die unternehmerische Kompetenz der Landwirtschaft.
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft schreitet voran und die Zahl der Bauernbetriebe nimmt jährlich ab. Wo sehen Sie Möglichkeiten, dass auch kleinerer und mittlerer Familienbetriebe erfolgreich weitergeführt werden können?
Brüngger: Kleinere Betriebe brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, unternehmerischen Spielraum und faire Marktchancen. Die Direktzahlungen müssen so ausgestaltet sein, dass sie vor allem die bäuerliche Arbeit auf dem Betrieb honorieren – nicht primär administrative Auflagen. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere für Betriebsleiterinnen, muss stärker ins Zentrum rücken. Zudem sollten wir Innovationen auf dem Hof – etwa in der Direktvermarktung, Agrotourismus oder Energieproduktion – gezielt fördern.
Wie wichtig ist eine hohe Selbstversorgung in einer globalisierten Welt und aus Sicht der kleinen Schweiz?
Brüngger: Gerade aktuelle Krisen zeigen, dass eine Unabhängigkeit bei der Nahrungsmittelversorgung ein strategischer Vorteil ist. Die Schweiz muss nicht alles selbst produzieren – aber wir dürfen uns auch nicht zu sehr von globalen Märkten abhängig machen. Eine ausgewogene Selbstversorgung stärkt unsere Resilienz und trägt zur Ernährungssicherheit bei. Das ist auch ein Beitrag zur nationalen Sicherheit.
Die Flut an landwirtschaftlich geprägten Initiativen nimmt kein Ende und bereits 2026 muss über die «Initiative für eine sichere Ernährung» abgestimmt werden, welche die staatliche Förderung pflanzlicher Lebensmittel und die Reduzierung tierischer Produkte fordert. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Brüngger: Ich halte nichts von einseitiger staatlicher Steuerung des Konsums. Die Konsumentinnen und Konsumenten sollen selbst entscheiden, was sie essen und trinken. Unsere Landwirtschaft braucht Planungssicherheit, keine ideologischen Eingriffe in Produktionsmethoden. Wer Vielfalt fordert, sollte auch Vielfalt in der Produktion zulassen – pflanzlich und tierisch. Die Agrarpolitik soll Rahmenbedingungen schaffen, nicht Essgewohnheiten vorschreiben.
Welche konkreten Massnahmen möchten Sie als Ständerat ergreifen, um die Rahmenbedingungen für die Landwirtinnen und Landwirte zu verbessern?
Brüngger: Ich werde mich für weniger Bürokratie, mehr unternehmerische Freiheit und eine praxisnahe Agrarpolitik einsetzen. Der administrative Aufwand auf den Höfen ist heute unverhältnismässig – hier braucht es dringend Vereinfachungen. Auch die Digitalisierung muss in der Landwirtschaft besser nutzbar werden und die Arbeit erleichtern. Zudem unterstütze ich Initiativen, die die Ausbildung, Nachfolge und Innovation in der Landwirtschaft fördern. Und nicht zuletzt müssen wir die Raumplanung so gestalten, dass Landwirtschaftsflächen auch langfristig gesichert sind.
Viele junge Menschen sehen ihre Zukunft nicht mehr in der Landwirtschaft. Wie kann man den Beruf wieder attraktiver machen – auch politisch gesehen?
Brüngger: Wir müssen aufhören, die Landwirtschaft ständig zu kritisieren oder zu reglementieren. Junge Menschen wollen Gestaltungsspielraum, Sinn und Perspektiven. Das bietet der Beruf – wenn man ihn lässt. Wichtig sind attraktive Ausbildungswege, gute Vereinbarkeit von Familie und Betrieb sowie innovative Geschäftsmodelle. Politik kann hier mit gezielten Impulsen und attraktiven Rahmenbedingungen helfen, aber nicht mit Vorschriften.
Sie sind als Pilot viel unterwegs und sehen die Welt aus der Vogelperspektive. Was schätzen Sie am meisten, wenn Sie nach Hause in den Kanton Schaffhausen zurückkehren – und spielt die ländliche Prägung der Region dabei eine besondere Rolle für Sie?
Brüngger: Absolut. Wenn ich von oben auf Schaffhausen blicke, wird mir jedes Mal bewusst, wie besonders unsere Region ist – mit ihren Rebbergen, Feldern, Wäldern und Dörfern. Diese Vielfalt ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit unserer Landwirtinnen und Landwirte. Das Ländliche prägt unsere Identität – und es verdient Respekt, Anerkennung und eine Politik, die es stärkt. Kein Flecken auf der Erde bedeutet mir mehr.
Ist Severin Brüngger auch mal am Kochherd anzutreffen und wenn ja, was kocht man(n) gerne?
Brüngger: Doch, durchaus. Ich schätze einfache Gerichte mit guten regionalen Zutaten: ein herzhaftes Risotto mit Gemüse aus der Region, ein Stück Fleisch vom Schaffhauser Metzger oder ein feines Käseplättli. Gute Lebensmittel verdienen Wertschätzung – und die beginnt beim Kochen.