In den Reben oberhalb von Oberhallau begleiten naturinteressierte Menschen während eines ganzen Jahres den vegetativen Zyklus des Weinbaus – vom ersten Rebschnitt im Winter bis zur Degustation des eigenen Weins im darauffolgenden Frühling. Dieses Erlebnis bieten Denise und Hansueli Graf auf ihrem Hofgut an. Sie leiten seit mehreren Jahren einen Kurs, der Laien das Winzerhandwerk praxisnah vermittelt. «Unser Ziel ist es, ein echtes Verständnis dafür zu schaffen, was alles in einer Flasche Wein steckt – an Arbeit, Zeit und Hingabe», sagt Hansueli Graf.
Eigene Reben, eigener Wein
An sieben Samstagnachmittagen trifft sich die Gruppe im Rebberg. Dort erhält jede Person eine eigene Rebreihe, versehen mit ihrem Namensschild aus Holz. Diese Schilder werden am ersten Kurstag gemeinsam montiert – ein einfacher, aber verbindender Einstieg in das gemeinsame Jahr. Die Reihen sind zweigeteilt: Im unteren Bereich wächst Blauburgunder, im oberen Müller-Thurgau. Am Ende entsteht so für jede Person eine kleine Auswahl an Weinen – Weiss, Rosé und Rot –, die mit einem individuell gestalteten Etikett versehen werden. Die Teilnehmer begleiten ihre Reben durchs ganze Jahr und übernehmen alle anfallenden Arbeiten wie Schneiden, Anbinden, Einschlaufen, Ausbrechen der Triebe und Auslauben bis hin zur Ertragsregulierung. Dazu gehört auch viel Hintergrundwissen zu Oekologie, Pflanzenschutz und weiteren Themen. Die Lese im Herbst erfolgt nach Reifegrad gestaffelt.
Viele sind sogar mehrfach dabei. «Dieses Jahr mussten wir die Gruppengrösse reduzieren, weil Teilnehmende aus den letzten beiden Jahren als Vertiefung nochmals selbstständig eine eigene Reihe bewirtschaften wollten.»
Was die Menschen motiviert
Die Beweggründe, sich für den Kurs «Winzer für ein Jahr» anzumelden, sind vielfältig. Manche schätzen die körperliche Arbeit in der Natur, andere möchten das Winzerhandwerk von Grund auf verstehen. So auch René aus Schaffhausen, der gemeinsam mit seiner Frau Gabi teilnimmt. Beide bewirtschaften je eine eigene Rebreihe. «Wir wollten bereits vor zwei Jahren am Kurs teilnehmen, damals war er allerdings schon ausgebucht», erzählt er. Aufmerksam geworden war er durch einen Artikel in einer Weinzeitschrift – der Impuls kam von seiner Frau.
«Ich dachte mir: Das ist eine gute Gelegenheit, etwas dazuzulernen – draussen, in einer sympathischen Gruppe», erklärt René. Besonders schätzt er, dass es nicht bei theoretischem Wissen bleibt, sondern dass man die Rebe übers ganze Jahr praktisch begleitet: «Wir schauen das Ganze an – vom Winterschlaf der Pflanze bis zur abgefüllten Flasche. Ich bin gerne draussen, und das Zusammensein mit Gleichgesinnten rundet das Ganze ab.»
Zuhause besitzt er einige eigene Rebstöcke – durch den Kurs hat sich sein Blick auf den Weinbau verändert. «Ich habe gemerkt, dass ich vieles falsch gemacht habe. Jetzt kann ich mein neues Wissen auch im Garten umsetzen.» Ob die Etikette für seinen Kurswein eine gemeinsame mit Gabi oder eine eigene wird, ist noch offen: «Wir haben schon eine Etikette für unseren Quittenschnaps – vielleicht lässt sich die anpassen. Das wäre ein schönes Geschenk für Freunde.»
Auch Monique Ruf hat spontan mitgemacht, nachdem sie am Herbstfest in Hallau den Wein der Grafs degustiert hatte. «Ich war gleich Feuer und Flamme, als ich den Flyer sah. Es ist einfach wunderbar, hier zu stehen, zu sehen, wie alles wächst, und zu erleben, was daraus wird.»
Arbeiten – und geniessen
Zum Kursnachmittag gehört eine Kaffeepause mit gespritztem Traubensaft, selbstgemachtem Gebäck und zum Schluss jeweils mit einem gemütlichen z’Vieri unter der Pergola beim kleinen Rebhäuschen – bei klarem Wetter reicht der Blick bis zum Säntis. «Das Zusammensitzen ist ein wichtiger Teil», so Hansueli Graf. «Es ist ein Moment des Ausruhens, des Austauschs und auch des Genusses.»
Zum Zvieri gehört auch, dass die Gruppe jeweils mit zwei Weinen aus dem Sortiment von «Graf & Gräfin – Goldeselweine» verkostet wird. Über das Jahr hinweg lernen alle Beteiligten so das ganze Sortiment kennen. Den Abschluss des Kurses bildet eine Jungweindegustation im Keller, bei der alle Aspekte der Vinifizierung inklusive Sensorik besprochen werden. Mit einem Diplom werden die Teilnehmenden in die Praxis entlassen.
Ein persönlicher Zugang zum Wein
Für viele Mitmachende ist es nicht nur eine lehrreiche, sondern auch eine persönliche Erfahrung. «Zu sehen, wie aus einem Rebstock Wein entsteht, den man selber mitgepflegt hat – das ist etwas sehr Besonderes», sagt Denise Graf. Und ihr Mann ergänzt: «Der Kurs schafft Nähe zum Produkt. Man sieht den Wein mit anderen Augen – und trinkt ihn bewusster.»
Wer sich auf das Jahr im Rebberg einlässt, erfährt nicht nur, wie Weine entstehen, sondern auch, wie viel Geduld, Sorgfalt und Zusammenarbeit darin stecken. Es ist ein Einblick in ein jahrhundertealtes Handwerk – und eine Einladung, für kurze Zeit Teil davon zu sein.