Ferienplausch auf dem Ponyhof: Ein Chindsgi-Meitli geht neugierig mit der Gruppe über das Gelände. Plötzlich rennt es los, schlüpft unter einem Pferd hindurch und folgt seinem eigenen Weg. Das Mädchen hat ein autistisches Verständnis der Welt. Sprache erreicht es nur bedingt. An diesem Tag ist Andrea Wilhelm, Projektleiterin bei «Teilhabe für ALLE Schaffhausen», für sie da. Eins-zu-eins. Mit viel Ruhe, Gebärden und Piktogrammen begleitet sie das Mädchen einfühlsam durch den Tag und holt es so immer wieder in die Gruppe zurück.
«Bock»: Frau Wilhelm, wie war dieser Tag auf dem Ponyhof für Sie?
Andrea Wilhelm: Es war schön zu spüren, wie ich mit meiner Anwesenheit Sicherheit geben konnte. Alle waren glücklich – das Mädchen, seine Familie, aber auch die anderen Eltern und Kinder. Und die Betreiber des Ponyhofs sind bereit, es wieder zu machen.
Ziel ist ja, dass sich diese Teilhabe verselbstständigt.
Wilhelm: Genau. Je öfter inklusive Freizeit gelingt, desto schneller merken alle: Es ist gar nicht so kompliziert.
Wie offen sind die Freizeitanbieter?
Wilhelm: Die meisten zeigen sich bereit, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aufzunehmen. Die Idee von inklusiven Freizeitaktivitäten besteht ja schon seit Jahren. Das Munot-Kinderfest ist so ein Thema oder der Ferienpass. Meist scheitert es dann eben an der Betreuung oder auch am Mut und Wissen der Eltern, dass auch ihre Kinder mit Behinderungen willkommen wären.
Warum liegt Ihnen das Thema so am Herzen?
Wilhelm: Ich habe selbst einen Sohn mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Er wollte Unihockey lernen. Als er dann mal ein Training besuchte, stand er nur auf dem Feld. Er hatte keinen Plan, was zu tun war. Für mich als Mutter war das schwer mitanzusehen.
Warum sind Sie nicht eingeschritten?
Wilhelm: Im Nachhinein bereue ich das. Zumal ich weiss, er hätte nur zwei, drei begleitete Trainings gebraucht und hätte sich dann allein zurechtgefunden. Oft ist es eine kleine Schwelle. Aber in der Rolle als Mutter wollte ich nicht ins Training reinschwätzen und mein Sohn hätte es wohl auch nicht cool gefunden, wenn ich ständig dabei gewesen wäre. Auch Kinder und Jugendliche mit Behinderungen wollen selbstständig sein. Und Eltern haben nicht immer Zeit, ihr Kind zu begleiten.
Wie funktioniert Ihr Angebot? Wie gehen interessierte Eltern am besten vor?
Wilhelm: Wenn Anfragen kommen – zum Beispiel durch Anrufe von Eltern – klären wir zuerst, was sich das Kind wünscht. Manchmal hat es schon eine konkrete Idee, will in den Mountainbike-Club, in die Pfadi oder zum Klavierunterricht. Manchmal heisst es auch einfach «Mein Sohn ist gerne draussen.» Dann prüfen wir gemeinsam mit den Eltern und den verschiedenen Anbietern, was für Möglichkeiten es gibt und wie das Kind dorthin gelangen kann. Ich besuche die Familien, um ein Gefühl für die Situation zu bekommen und passende Angebote zu finden.
Sind also immer Sie die Begleiterin?
Wilhelm: Aktuell begleite ich die Kinder noch selbst, aber wir bauen einen Pool von Betreuungspersonen auf – Menschen mit Erfahrung, Zeit und Herz. Eine Spezialausbildung ist nicht notwendig – es reicht, so viel zu können wie ein Elternteil.
Welche Kosten entstehen für die Eltern?
Wilhelm: Die Begleitung kostet 10 bis 15 Franken pro Stunde. Abklärungen im Vorfeld sind kostenlos, durch Spenden gedeckt. Falls Eltern sich den Beitrag nicht leisten können, suchen wir gemeinsam nach Lösungen – am Geld soll es nicht scheitern.
Wie unterscheidet sich Ihr Angebot von andern? Zum Beispiel dem Entlastungsdienst des SRK?
Wilhelm: Wir bieten auch einmalige Begleitungen an, etwa für einen Zirkusbesuch, und möchten kurzfristig einspringen können. Ziel ist, dass alle Beteiligten lernen, wie Inklusion gelingen kann – damit sie zur Selbstverständlichkeit wird.
Die Begleitung auf dem Ponyhof war jetzt Ihre erste. Die Anfragen gehen zögerlich ein. Braucht es dieses Angebot in Schaffhausen überhaupt?
Wilhelm: Wir sind gerade dabei, das Angebot bekannt zu machen. Es dürfen sich übrigens Interessierte aus der ganzen Region melden. Wir beschränken uns nicht auf den Kanton. Erfahrungsgemäss melden sich anfangs nur wenige Familien, oft zwei oder drei. Wir sind überzeugt, dass das Angebot einem Bedürfnis entspricht. Doch für uns stellt sich die Frage nach dem Bedarf gar nicht: Wenn nur ein einziges Kind diese Begleitung beansprucht, rechtfertigt es das ganze Angebot.
Mehr Infos unter teilhabe-sh.ch/freizeitbegleitung