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Kultur
29.04.2025
05.05.2025 10:50 Uhr

Paradoxone als Erkenntnisse

Für Edwin Nyffeler ist das Alter nur eine Zahl. In seiner Schaffhauser Praxis empfängt er weiterhin Patientinnen und Patienten und hat sich neuerdings zum Autor gemausert. Dass das Buch «Paradoxone» nicht das letzte sein wird, ist so gut wie in Stein gemeisselt.
Für Edwin Nyffeler ist das Alter nur eine Zahl. In seiner Schaffhauser Praxis empfängt er weiterhin Patientinnen und Patienten und hat sich neuerdings zum Autor gemausert. Dass das Buch «Paradoxone» nicht das letzte sein wird, ist so gut wie in Stein gemeisselt. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
Vor rund einem Jahr hat sich beim weiterhin aktiv praktizierenden Coach für pränatalbasierte Körpertherapie und Wahl-Schaffhauser, Edwin Nyffeler, der Wunsch herauskristallisiert, ein Buch mit einer Auswahl an über die Jahre verfassten Paradoxone zu entwerfen. Der «Bock» sprach dazu mit dem Autor, um dessen Motivation zu ergründen.

«Seit drei Jahren wohne ich in Schaffhausen. Der Ostschweizer Dialekt ist mir als gebürtiger St. Galler zum Glück nicht ganz fremd, auch wenn sich doch einige Ausdrücke und Betonungen unterscheiden», sagt der 77-jährige Edwin Nyffeler zu Beginn des Austausches mit dem «Bock» lächelnd. Nach dem Wegzug von St. Gallen habe er in Genf, im Thurgau und danach für einige Jahrzehnte in Zürich gelebt und seine Aus- und Weiterbildungen in England und Kanada durchlaufen.

Vor mehr als 50 Jahren, als junger Student der Sozialen Arbeit, in St. Gallen, sei er auf das Buch Zen-Buddhismus und Psychoanalyse von Erich Fromm gestossen – einstiger deutsch-US-amerikanischer Philosoph, Psychoanalytiker und Sozialpsychologe aus Frankfurt am Rhein: «Ich war vom Gedanken fasziniert, dass man die Welt auch anders als kausal, anders als in der Tradition des Westens mit seiner Aristotelischen Logik betrachten kann. Ich begann bald, mein Geworden-Sein, mein In-der-Welt-Stehen, zu reflektieren und zu hinterfragen.» Es sei ihm stets ein Bedürfnis, bei sich und den anderen Menschen – bei ihrem Tun und Lassen – hinter die Fassaden schauen zu können. «Meinem Leben, meinem Denken und Fühlen wollte ich auf den Grund gehen.»

Stets mit Paradoxien beschäftigt

Bei seinen Reflexionen sei Edwin Nyffeler stets auf Paradoxien gestossen, sowohl im «Aussen» als auch im eigenen Leben. Dabei habe er festgestellt, dass sich diese kausal nicht auflösen liessen. «Es war mir mehr und mehr eine grosse Hilfe, Tatsachen, Ereignisse und Einsichten in einem ‹Sowohl-als-auch› anstelle eines ‹Entweder-oder› stehen zu lassen.»

Die im neu erschienenen Buch niedergeschriebenen Paradoxien, seien eine fein kuratierte Auswahl der über die Jahre notierten Einsichten. Vor rund zwölf Monaten habe er damit begonnen diese auszudrucken und neu zu sichten. «Dabei ist die zu dieser Zeit mir noch kühn erscheinende Idee entstanden, dass ich diese Gedanken in Buchform veröffentlichen könnte», erinnert sich der Coach für pränatalbasierte Körpertherapie zurück. Gedacht, getan. Nun so schnell sei es dann doch nicht gegangen. Das Projekt habe sich aber ganz ohne Stress, Schritt um Schritt, zu einem Ganzen entwickelt. Im Zuge dessen sei bald einmal die Überlegung dazugekommen, seine Paradoxone mit Illustrationen zu begleiten. «So wie ich die Paradoxien als Kernaussage zu unserer Existenz betrachte, so wollte ich auch Zeichnungen dazu anfertigen, die in ihrer Aussage auf ihren Kern reduziert sind.» In einem meditativen Versenkungsprozess seien zu den einzelnen Paradoxien einfache Linien entstanden. 

Einmal gefunden und niedergelegt, sei es nachher erstaunlicherweise nicht mehr schwierig gewesen, die scheinbar «einfachen» Zeichnungen für jedes einzelne Exemplar als Original anzufertigen und dann während der Produktion in die gedruckten Text-Blätter einzufügen. 

«Die Paradoxien sind einerseits Ausdruck vertiefter Einsichten in meine persönliche Geschichte. Wie im Vorwort im Buch formuliert: Die Paradoxone sind erfühlt und gedacht. Andererseits sind sie auch Ausdruck von beobachteten Befindlichkeiten von all den Menschen, mit denen ich während meiner Berufsjahre zu tun hatte und immer noch zu tun habe», erklärt Nyffeler.

«Es war mir mehr und mehr eine grosse Hilfe, Tatsachen, Ereignisse und Einsichten in einem ‹Sowohl-als-auch› anstelle eines ‹Entweder-oder› stehen zu lassen.»
Edwin Nyffeler, Autor und Coach für pränatalbasierte Körpertherapie

Das steckt hinter einem Paradoxon

Der Wahl-Schaffhauser erläutert in den folgenden Zeilen eines der im Buch abgedruckten Paradoxone ausführlicher, um verständlicher zu machen, wie er zu den verdichteten Aussagen kommen konnte. «Keine Angst mehr haben, Angst zu haben», lautet eines der 25 Paradoxone. Er sei selbst in einem Milieu schwarzer Pädagogik aufgewachsen und das halbe Leben hindurch von grossen Ängsten geplagt gewesen, was seine persönliche und berufliche Entwicklung immer wieder gehemmt habe. «In meinem eigenen therapeutischen Prozess lernte ich, diese Angst überhaupt wahrzunehmen, ihrem Ursprung zuzuordnen und als einstige Tatsache zu akzeptieren.» Parallel dazu habe er gelernt, sich von diesen grossen Ängsten nicht mehr hindern zu lassen, sein Leben nicht nur trotz dieser Ängste zu führen, sondern sie als Teil des Lebens anzusehen. Diese Einsicht habe er ebenfalls in seine berufliche Tätigkeit als Lehrer, Lerncoach und Therapeut integrieren und zur Anwendung bringen können, so Nyffeler: «Wenn ein Schüler oder eine Schülerin zu mir kam und mir von Prüfungsangst in der Schule erzählte, konnte ich dem Kind insofern behilflich sein, als dass ich ihm sagte, es sei in Ordnung, wenn es diese Ängste hat. Es müsse gar nicht erst versuchen, diese Ängste loszuwerden. Es dürfe diese Ängste mit dem gelernten Stoff an die Prüfung mitnehmen.» In sehr vielen Fällen sei diese neue Möglichkeit, mit den Ängsten akzeptierend umzugehen, dem Kind eine grosse Hilfe gewesen. «Du musst doch keine Angst haben, du schaffst das schon», sei wohl ein gutgemeinter Ratschlag, welcher häufig das Gegenteil bewirke: die Angst wird nicht kleiner, und hinzu kommt noch die Angst vor der wieder auftauchenden Angst. 

Puristische Zeichnung

Viele der Paradoxone sind mit einer minimalistischen Zeichnung ergänzend illustriert: Der kraftvolle, nach oben weisende Strich. Das gelbe Blatt, auf der die Linie liegt, wird in seiner Begrenzung gesprengt. Das gelbe Blatt, der Raum, wird grösser und weiter. Die Linie führt weiter nach oben. Der gegebene Rahmen, die sichtbare Begrenzung wird überwunden.

Objektgewinnung ist Selbstgewinnung

Diese Aussage ist Klaus Evertz, einem bekannten Kunsttherapeuten und Pränatal-Psychologen aus Deutschland, zuzuschreiben. Sie bezieht sich auf den Prozess künstlerischen Schaffens. «In diesem Sinne war das Realisieren des Buches ‹Paradoxone› ein grosser Gewinn für mich.» Es habe Nyffeler viel Freude bereitet, dieses Werk von A bis Z zu entwerfen, gestalten, planen und zusammen mit der Buchbinderei Renfer, in Dübendorf, herzustellen.

Schwierig am Ganzen sei für ihn gewesen, zu Beginn aufkommende Zweifel, wie «das geht doch nicht, das kannst du doch nicht, das ist doch nicht gut genug» zu akzeptieren. Gleichzeitig sei es eine Herausforderung gewesen, sich von diesen alten Mustern nicht ausbremsen zu lassen und seine anerzogene und so typisch schweizerische Art, sich nicht so ganz wichtig und ernst zu nehmen, hinter sich zu lassen. Danach habe sich alles wie selbstverständlich entwickelt.

«Durch den ganzen Prozess ist in mir der Wunsch nach mehr gekeimt», so der Autor. Manches Projekt sei sogar schon mehr oder weniger am Gedeihen. Ein grösseres Buch, eventuell verbunden mit einer Ausstellung zu eigenen Zeichnungen, Fotografien und gesammelten Objekten, trage den Arbeitstitel «If not now, when then – Das Leben von Anfang an denken.»

Das bibliophile Werk «Paradoxone» ist in der Buchhandlung Bücher-Fass, Schaffhausen, sowie in einer kleinen Auflage im «Meetingpoint», erhältlich. 

Ein Buch, das den Worten und Zeichnungen buchstäblich viel Raum für Gedanken lässt. Bild: Sandro Zoller, Schaffhausen24
Sandro Zoller, Schaffhausen24