Drei der Autorinnen und Autoren werden hier vorgestellt. Das ganze Programm ist online auf erzählzeit.com zu finden oder als Programmheftchen bei den Bibliotheken erhältlich.
Montag, 31. März. Ramsen. Bezhad Karim Khani. Als wir Schwäne waren.
Anscheinend liebt Behzad Karim Khani Tiere: Der Titel seines Debütromans lautete «Hund, Wolf, Schakal», sein zweites Buch heisst «Als wir Schwäne waren». Doch erzählt er in seinen Werken nicht von der Tierwelt, sondern von der ganz realen Männerwelt der Gewaltbereiten und Abgehängten, der Kleinkriminellen, Drogendealer und Verurteilten – derjenigen, für die das Messer eine rettende Kraft ausstrahlt: «Mindestens zwei Mal wird mich mein Messer davor schützen, zum Krüppel zertrampelt zu werden», heisst es in «Als wir Schwäne waren». Die Schwäne sind dabei die metaphorische Darstellung des Lebens in Iran und Deutschland: Reza, der Protagonist, erinnert sich an die scheuen Zugvögel am Kaspischen Meer im Norden Irans, die er bei einem Ausflug im Winter mit dem Fernglas beobachtete. Er vergleicht sie mit den trägen Stadtschwänen an einem künstlich angelegten See in Bochum, die gefüttert werden und nicht fliegen können. Karim Khani setzt sich in seinem Buch mit Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung in der deutschen Gesellschaft auseinander. Um die «dunkle» Seite Deutschlands wiederzugeben, findet er kraftvolle Bilder und Ausdrücke. Erzählt wird das Ganze in drei spannende Akten, die jeweils in kurze scharfsinnige Episoden gefasst sind. Im ersten Akt ist der Ich-Erzähler neun Jahre alt und lebt in den 1990er Jahren in einer Plattenbausiedlung in Bochum. Im zweiten Teil ist Reza Teenager, fährt mit seinen intellektuellen Eltern in den Sommerferien in das Konzentrationslager Buchenwald, inspiziert die Praline oder den Playboy und lernt seine erste Liebe Natalie kennen. Er raucht Joints und beginnt, mit Drogen zu dealen. Im dritten Teil ist er erwachsen und wird mit Drogen festgenommen. Er wird zu zweieinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt, fängt in Berlin eine Therapie an und wird zwanzig Jahre später gefeierter Schriftsteller. Wie schon sein letzter Roman trägt auch dieser starke autobiografische Züge. Karim Khani weiss genau, wovon er schreibt. Dass er auf den ersten Teil seiner Biografie nicht stolz ist und nichts Vergleichbares für seinen fünfjährigen Sohn wünscht, erwähnt er in einem Schreiben an diesen, mit dem der Roman «Als wir Schwäne waren» beginnt: «Ich will etwas Anderes für dich.» Was er ihm ans Herz legen will, ist kein Ort, sondern die von ihm erfahrene Tatsache, dass Gewalt keine Heimat ist.
Dienstag, 1. April. Schlatt. Anna Katharina Hahn. Der Chor.
Alice Pogge hat ihr Leben aufgebaut, so wie sie es sich als Kind erträumt hatte: Ein guter Job, ein liebevoller Ehemann, eine schöne Altstadtwohnung und genügend Freizeit, um das Leben zu geniessen. Mittwochs singt sie in einem Frauenchor und hat sich dort mit einigen Frauen angefreundet. Als eines Tages eine neue Sängerin dazukommt, die junge Studentin Sophie, ist Alice auf Anhieb von ihr fasziniert. Sie versucht eine Freundschaft mit ihr aufzubauen und von diesem Moment an, fängt die Fassade ihres Lebens an zu bröckeln – bis am Ende nichts mehr ist, wie es am Anfang war. Mich hat die Geschichte sehr angesprochen. Der Aufbau ist gut und die als Erzählungen eingefügten Anekdoten aus dem Leben der Protagonisten lockern das Ganze angenehm auf.
Donnerstag, 3. April. Stadtbibliothek Schaffhausen. Dmitrij Kapitelman. Russische Spezialitäten.
Dmitrij zieht als Kind mit seinen Eltern von Kyjiw nach Dresden. Sie sind russisch-sprechende ukrainische Juden und eröffnen nach der Wende einen Laden. Hier verkaufen sie allerhand russische Spezialitäten. Sie fahren jeweils nach Kyjiw um neue Vorräte anzuschaffen und bauen sich bald eine Stammkundschaft auf. Dmitrij liebt die russische Sprache und versucht alles, um sie nicht zu verlieren. Bei jeder Gelegenheit «inhaliert» er sie. Als der Krieg ausbricht, geht es bald bergab mit dem Laden, zudem verfällt Dmitrijs Mutter der Propaganda im russischen Staatsfernsehen. Mutter und Sohn entfernen sich immer mehr voneinander. Ein letzter Versuch, die Beziehung zu retten, ist eine Reise Dmitrijs nach Kyjiw. Hier trifft er alte Freunde und besucht mit Ihnen Kriegsschauplätze. Ob er damit seine Mutter überzeugen kann, dass die Realität anders aussieht als sie glaubt?