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Kultur
25.03.2025

Über die Eigenarten von Lesungen

David Wagner übers Vorlesen: «Manchmal habe ich sogar das Gefühl, das Buch, das ich lese, gar nicht selbst geschrieben zu haben.»
David Wagner übers Vorlesen: «Manchmal habe ich sogar das Gefühl, das Buch, das ich lese, gar nicht selbst geschrieben zu haben.» Bild: Linda Rosa Saal
Er wurde mehrfach für seine literarischen Arbeiten ausgezeichnet. War der erste «Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessor für Weltliteratur» an der Universität Bern. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Im Rahmen des Literaturfestivals «Erzählzeit ohne Grenzen» kommt der deutsche David Wagner in die Region und liest an zwei Abenden aus seinem Roman «Verkin». Mit dem «Bock» spricht er über die Eigenarten von Lesungen.

«Bock»: Können Sie sich noch an Ihre erste Lesung erinnern?
David Wagner: Das war 1998 im Literaturhaus in Berlin. Ich war unglaublich nervös und habe mir den Text extra gross ausgedruckt und sogar mehrmals überarbeitet.

Das machen Sie inzwischen aber nicht mehr, oder?
Wagner: Nein, heute lese ich direkt aus dem Buch. Aber ich gebe zu, dass ich manchmal beim Lesen denke, dieses oder jenes hätte ich anders formulieren können. Es fällt mir daher leichter, Texte von anderen zu lesen als meine eigenen. Lesungen sind für mich fast wie Theater spielen. Ich komme mir vor wie ein Schauspieler, der den Autor spielt.

Schreiben und vor Publikum lesen, sind ja auch sehr unterschiedliche Tätigkeiten.
Wagner: Genau. Am Schreibtisch denke ich nie an ein Publikum, da bin ich ganz bei mir und dem Text. Bei einer Lesung jedoch übernehme ich die Rolle des Darstellers. Es sind zwei verschiedene Rollen, die ich mit mir selbst spiele. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, das Buch, das ich lese, gar nicht selbst geschrieben zu haben.

Aber machen Sies denn gerne?  
Wagner: Mir macht es grosse Freude. Und es gibt immer wieder spannende Erlebnisse. Ich hatte grossartige Lesungen in China und Teheran. Erst letzten Monat war ich in Indien und Pakistan. Und das darf man nicht vergessen: Als Schriftsteller lebt man auch von solchen Lesungen. Sie verschaffen mir die Freiheit, wieder ein Jahr am Schreibtisch zu sitzen. Aber vermutlich ist es nicht für alle Autoren etwas.

Wie wählen Sie die Texte, die sie vorlesen?
Wagner: Das passiert meist am Nachmittag vor einer Lesung. Ich habe meine kleine Vorbereitungsroutine, mache mir Notizen und überlege, welche Passagen ich vorlesen möchte. Der Anfang bleibt oft gleich, aber ich variiere je nach Lesung. Ich lasse mich dabei einfach vom Gefühl leiten.

Was kommt beim Publikum besser an, ernstere oder lockere Passagen? 
Wagner: Jedes Publikum ist anders, und jede Lesung ist eine Chance, das Publikum zu gewinnen. Das kann durch intensives Vorlesen, ein spannendes Thema oder auch mal durch etwas Kurioses passieren. Es ist immer eine Kommunikation zwischen mir und dem Publikum. Ich finde es schön, wenn das Publikum reagiert – aber es muss nicht bei jedem Witz laut loslachen.

Muss es denn das Buch schon kennen? 
Wagner: Nein, das erwarte ich nicht. Aber ich hoffe schon, dass man mir zuhört und sich nicht während der Lesung mit dem Nachbarn unterhaltet.

Warum kommen die Leute denn an eine Lesung?
Wagner: Die Gründe sind ganz unterschiedlich. Da kommt alles zusammen, das ist ja das Schöne. Manche kommen, weil die Veranstaltung im Dorf stattfindet, andere, weil sie gerne zuhören – im Grunde ist es wie ein Live-Hörbuch. Einige interessieren sich für das Thema oder mögen mich als Autor, wieder andere wollen sich einfach eine Unterschrift abholen.

Haben Sie auch Fans oder Verehrerinnen, die immer wieder kommen?
Wagner: Da gibt es schon Fans, die kommen. Verehrerinnen wüsste ich jetzt nicht. Aber gerade Unterschriftenjäger sind zum Beispiel oft männlich.

Gab es Momente an Lesungen, die Ihnen noch besonders in Erinnerung sind?
Wagner: Oh, da gibt es viele. Sehr schön finde ich immer, wenn Menschen aus weitzurückliegender Vergangenheit an Lesungen kommen. Wie einst eine alte Schulfreundin, mit der ich bis zur Siebten in einer Klasse sass. Ein anderes Mal las ich eine Passage vor, die ich noch nie zuvor gelesen hatte. Und nach der Lesung stand genau der ehemalige Schulfreund vor mir, von dessen Vater die Passage handelt. So ist das im besten Fall bei Lesungen. Ich spüre das Publikum, auch wenn ich den Blick die meiste Zeit aufs Buch richte.

Das deutsch-schweizerische Literaturfestival «Erzählzeit ohne Grenzen» findet vom 29. März bis 6. April statt. David Wagner liest am 2. April ab 19 Uhr in der Mensa der Gemeinschaftsschule in Steisslingen und am 3. April ab 18 Uhr im Saal des Restaurants Gemeindehaus in Wilchingen.

Mehr Informationen zum Festival unter: erzaehlzeit.com.

Claudia Riedel