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Umwelt
18.03.2025

Stadtkind erlebt Saubranche

Unter stadtkind.im.schweinestall ist Nik auf Instagram aktiv und zeigt seinen über 9000 Followern einen Einblick in die Schweinefleisch-Produktion. Auch mehrere Schaffhauser Betriebe hat er schon besucht und darüber berichtet.
Unter stadtkind.im.schweinestall ist Nik auf Instagram aktiv und zeigt seinen über 9000 Followern einen Einblick in die Schweinefleisch-Produktion. Auch mehrere Schaffhauser Betriebe hat er schon besucht und darüber berichtet. Bild: zVg.
Stadtkind Nik liebt Schweine und hat enormen Respekt vor der Arbeit der Schweinebauern. Nach mehr als 250 Besuchen in Aufzuchtställen und anderen Branchenbetrieben ist der 32-jährige mit seinem Instagram-Account zum beachteten Säuli-Influencer geworden.

Schaffhauser Bauer: Wie bist du auf die Idee gekommen, Sauställe zu besuchen?

Nik (Nachname bleibt unbekannt): Die Idee kam mir während der Corona-Pandemie im Homeoffice. Ich briet gerade mal wieder ein Schnitzel in der Pfanne und fragte mich plötzlich, wie das Säuli wohl gelebt hat. Ich habe den ersten Betrieb gesucht, der mich in den Stall gelassen hat. Anfangs dachte ich mir, ich schaue mir drei vier Betriebe an und dann ist gut. Doch ich finde es auch nach dem Besuch von mehr als 250 Zucht- und Mastbetrieben immer noch spannend. Die Branche ist extrem vielfältig, es gibt Mastbetriebe die von einer Bauernfamilie in der zehnten Generation betrieben werden und solche, die auf der grünen Wiese einen nigelnagelneuen Stall gebaut haben. Es gibt grosse und kleine Betriebe, Betriebe, die nach Biostandard oder nach einem anderen Label-Standard produzieren und konventionelle Betriebe. Jeder Betrieb ist anders.

 

Was hat dich interessiert?

Nik: Die Schweinemast findet hinter verschlossenen Türen statt. Heute weiss ich, dass das viel mit der erforderlichen Stallhygiene und dem Schutz vor Keimen, Bakterien und Viren zu tun hat. Doch dieses Verborgene hat mich neugierig gemacht. Zudem ist es so, dass man entweder Skandalbilder zu sehen bekommt, mit denen die Haltungsbedingungen angeprangert werden sollen oder rosarote Säuli, die fröhlich auf der grünen Wiese herumtoben. Mir war klar, dass beides nicht die Realität abbildet.

 

Hat dich in den drei Jahren von dem, was du als Stadtkind im Schweinestall gesehen hast, etwas geschockt?

Nik: Am meisten hat mich geschockt, wie viel Arbeit die Schweinezucht macht. Wenn ich morgens aufstehe, esse und trinke ich zuerst. Bei den Landwirten sind immer zuerst die Tiere an der Reihe. Die meisten Bauern stehen sehr früh auf, gehen erst in den Stall und frühstücken dann später. In der Schweiz sind es meistens Familienbetriebe, in denen gearbeitet wird, bis alles getan ist. Und etwas zu tun gibt es immer, du kommst schnell auf eine 80-Stunden-Woche. Die Arbeit ist körperlich sehr anstrengend und du musst als Saubauer alles können: Ein Landwirt ist gleichzeitig Tierversorger, Futtermittelexperte, Gesundheitsspezialist, Mechaniker, Buchhalter, Elektriker, Jurist und noch vieles mehr. Das muss man erst einmal alles drauf haben.

Du schaust dir auch Betriebe in Österreich und in Deutschland an, was ist dort anders?

Nik: Während in der Schweiz Sauen überwiegend in Familienbetrieben aufgezogen werden, gibt es in Deutschland Betriebe mit 5000 Tieren und Angestellten mit einem Acht-Stunden-Tag. Dabei ist es für die Betriebe sehr schwierig, Angestellte für diese Arbeit zu finden. Die Landwirtschaft zahlt sehr tiefe Löhne, das Personal ist deswegen sehr multikulturell. Es gibt Rumänen oder in Ostdeutschland oft auch Vietnamesen, die die Arbeit in den Zucht- und Mastbetrieben machen. In Ostdeutschland findet man zudem oft topmoderne Ställe in den alten Gebäudehüllen der ehemaligen Volkseigenen Betriebe. Aus Effizienzgründen stehen die Schweine viel auf Spaltenböden und der Kot wird automatisch zur Biogasanlage oder auf den Misthaufen transportiert. Es gibt in Deutschland aber auch Betriebe, die quasi nach Schweizer Standard produzieren. Die Branche ist auch dort enorm vielfältig.

 

Was hast du in der Branche neben Zucht- und Mastbetrieben noch gesehen?

Nik: Ich war schon mit einem Tierarzt und mit einem Kontrolleur unterwegs. Dann war ich an der Uni Bern mal in der Sauklinik und im Labor; ich habe eine Besamungsstation besucht, war bei Kastrationen dabei und bei einem  Futtermittelproduzenten. Ich interessiere mich für die ganze Branche vom Zuchtbetrieb bis zur Schlachterei.

 

Was hast du bei deinem Besuch im Schlachthof empfunden?

Nik: Ich durfte in Deutschland einen Schlachthof besuchen. Das war mir wichtig. Denn wenn ich Fleisch esse, ist die logische Konsequenz, dass Tiere getötet werden. Ich war beeindruckt, wie professionell im Schlachthof gearbeitet wird. Es hat etwas von Fliessbandarbeit und auch beim Töten der Tiere wird mit Kompromisslösungen gearbeitet. Niemand tötet gerne, aber die Effizienz der Tötungsarbeit ermöglicht uns allen, Fleisch zu essen ohne selbst Tiere aufzuziehen und zu töten. Wenn du Fleisch isst – und ich esse nach wie vor gerne Fleisch – muss dir klar sein, dass dafür ein Tier gestorben ist. Es wäre wünschenswert, dass sich die Menschen mehr Gedanken machen. Man kann nicht die industriellen Schlachthöfe kritisieren und gleichzeitig Fleisch essen. Oder man muss sein Fleisch direkt vom Hof kaufen.

 

Wie verlaufen deine Besuche
in Mastbetrieben?

Nik: Die Betriebe, die mir ihre Türen öffnen, sind äusserst offen und herzlich. Obwohl ich für sie ein völlig Fremder bin, laden mich die Familien manchmal sogar zum Mittagessen ein. Die Bauern erklären und zeigen mir alles und beantworten offen jede meiner Fragen. Es gibt sogar welche, die mir ihre ganze Buchhaltung offenlegen. Sie wollen, dass ich verstehe, welche Ausgaben ein Mastbetrieb hat und wie sie kalkulieren müssen.

 

Was gefällt dir an den Besuchen in den Mastbetrieben am meisten?

Nik: Das Grösste ist es für mich, wenn ich in die Boxen zu den Ferkeln darf. Erst sind sie oft sehr scheu und laufen vor mir davon. Aber dann sind sie doch neugierig und fangen an, an mir herumzuschnüffeln. Säue sind sehr interessierte und intelligente Tiere

 

Welche Art von Schweinefleisch isst du heute?

Nik: Die Saubranche ist äusserst vielfältig. Ich esse Fleisch aus allen Haltungsformen. Da sich nicht alle Konsumenten und Konsumentinnen Bio- oder Labelfleisch leisten wollen oder können, braucht es auch die konventionelle Zucht, deren Fleisch günstiger ist. Ich bewerte die unterschiedlichen Haltungsformen nicht, denn jede hat ihre Berechtigung. Wenn alle Biofleisch essen würden, würden alle Mäster Fleisch nach Biostandard produzieren.

 

Hast du dir bei all dem Wissen, das du dir inzwischen angeeignet hast, schon überlegt, Fachredaktor für Schweinemast zu werden?

Nik: Ich bin sehr froh, dass ich nicht für ein Fachmagazin schreiben muss, wo ich mir beim Betriebsbesuchen alle Zahlen und Details genau aufschreiben müsste. Bei einem Stallbesuch geht es mir vor allem um die Begegnung mit den Bauern. Ich mache nur Fotos und keine Notizen, alles zusammen wäre mir zu streng. Meine 2000-Zeichen-Beiträge für Instagram schreibe ich nach dem Besuch aus dem Gedächtnis.

 

Du könntest auch selbst in einem
Saustall arbeiten.

Nik: Das wäre mir definitiv zu streng. Ich habe vielleicht mal einen Tag lang in einem Stall mitgeholfen, aber schon ein Praktikum von zwei Monaten wäre mir viel zu anstrengend. Die Schweinemast ist eine körperlich sehr harte Arbeit. Das traue ich mir nicht zu. Ich bin unheimlich dankbar dafür, dass es Leute gibt, die diese Arbeit auf sich nehmen, damit wir jeden Tag zu essen haben und satt werden.

 

Was könnte die Branche deiner Meinung nach tun, um ihr oftmals negatives Image abzulegen?

Nik: Weil ein Landwirt heute 100 Personen mit Essen versorgt, haben die meisten Menschen den Bezug zur Landwirtschaft total verloren. Die Saubranche hat es meines Erachtens verpasst, den Leuten mehr Einblick in ihre Arbeit zu verschaffen und sie mitzunehmen. Sie müssten den Konsumenten mehr erklären, warum zum Beispiel ein Stall nicht einfach offen zugänglich sein kann. Ohne Öffentlichkeitsarbeit kommt heute keine Branche mehr aus. Es würde reichen, wenn jeder Saumäster ab und zu einen Instagram-Post absetzen oder seinen Nachbarn oder den Dorfbewohnern mehr zu seiner Arbeit erzählen würde. Die jüngere Generation von Landwirten macht das eher als die ältere. Anstatt dass wenige viel Öffentlichkeitsarbeit machen, sollten alle ein wenig offensiver sein.

Schaffhausen24, Originalmeldung Schaffhauser Bauer, Anita Merkt