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Klettgau
25.02.2025

«Leder ist lebendig» – ein Atelier voller Geschichten und Leidenschaft

Mary-Salvatrice Catalfamo und Domenico Di Cinque in ihrem «MD LederAtelier» in Beringen. Zweieinhalb Tonnen Leder warten hier darauf, verarbeitet zu werden. Bei der farbigen Tasche hat sich der Ledermeister vom Kubismus inspirieren lassen.
Mary-Salvatrice Catalfamo und Domenico Di Cinque in ihrem «MD LederAtelier» in Beringen. Zweieinhalb Tonnen Leder warten hier darauf, verarbeitet zu werden. Bei der farbigen Tasche hat sich der Ledermeister vom Kubismus inspirieren lassen. Bild: Claudia Riedel
Im «MD LederAtelier» in Beringen verschmelzen Tradition, Handwerkskunst und Leidenschaft zu einzigartigen Stücken. Ledermeister Domenico Di Cinque arbeitet mit viel Herzblut – jedes Produkt ist ein Unikat. Doch der Weg war nicht immer einfach: Billigproduktionen zwangen ihn einst, sein Handwerk in seiner Heimat aufzugeben. Erst durch eine schicksalhafte Begegnung mit Mary-Salvatrice Catalfamo fand er zurück zu seiner wahren Berufung.

Man betritt das Lederatelier und sofort hüllt einen der erdige Duft von gegerbtem Leder ein, vermischt mit einem Hauch von Wachs und Öl. Es ist ein warmer, einladender Geruch, der von Handwerkskunst und Tradition erzählt.
Der Verkaufsbereich im «MD LederAtelier» gleicht einer Schatzkammer. Regale und Tische sind gefüllt mit Gürteln, Taschen, Portemonnaies, Schuhen, Sandalen und Schlüsselanhängern. Unter dem gläsernen Tresen glitzern Gürtelschnallen in allen Variationen. Hier könnte man ewig stöbern. Und doch zieht es einen irgendwie direkt rüber in die Werkstatt – dorthin, wo diese Kunstwerke entstehen.

Ladeninhaberin Mary-Salvatrice Catalfamo lacht: «So geht es den meisten unserer Kunden. Sie schätzen es, wenn sie rüber an die Werkbank dürfen.» Dort sitzt man dann zwischen Ledermessern, Polierhölzern, Stanz- und Lochwerkzeugen, Garnen und Zwirnen, alten und neuen Maschinen, trinkt einen Espresso und schaut Ledermeister Domenico Di Cinque bei der Arbeit zu. Es ist eine Mischung aus Neugier und Ehrfurcht, wie ein Blick hinter den Vorhang einer Bühne. Man spürt die Magie des Entstehens.

Nachhaltigkeit wird gross geschrieben

Gerade arbeitet der Italiener an einer Sonderanfertigung: Eine Kundin wünscht sich ein Jass-Etui, in dem sie ihre Karten, die Jasstafel, Kreidestifte und das Schwämmli verstauen kann. Das Leder dazu hat die Wildschwein-Jägerin gleich selbst mitgebracht. Auch das passt ins Konzept des Beringer Ateliers. «Das Leder muss nicht neu sein», erklärt Domenico. «Wenn jemand eine alte Tasche hat, die an manchen Stellen kaputt ist oder nicht mehr gefällt, können wir das Leder wiederverwerten – zum Beispiel für ein Portemonnaie.» In der Schuhmacherei werden nicht nur Schuhe, sondern auch Taschen und Accessoires repariert – inklusive Luxusmarken. Denn Nachhaltigkeit ist hier kein Trend, sondern eine Selbstverständlichkeit. Das zeigt sich auch im Interieur des Ladens: Die Regale stammen aus einer alten Mercerie im Schaffhauser Löwengässchen. «Wir durften sie von der ehemaligen Besitzerin übernehmen und haben sie aufbereitet», freut sich Mary-Salvatrice. Domenico ergänzt ernst: «Wenn ich sehe, in welcher Wegwerfgesellschaft wir leben, tut mir das weh.» Darum halte er es auch in Einkaufszentren kaum aus. «Wenn ich die billig produzierten Schuhe und Taschen sehe, muss ich wegschauen.»

  • Domenico Di Cinque schneidet ein Stück Leder für einen Gürtel. An den handgefertigten Stücken arbeitet er rund zwei Stunden. Die Preise variieren je nach Ausführung und Gürtelschnalle und liegen in der Regel zwischen 120.– und 160.– Franken. Bild: Claudia Riedel
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  • Mit einem Polierholz werden die Kanten des Gürtels geglättet. Bild: Claudia Riedel
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Sein Handwerk hat der Ledermeister vor gut 25 Jahren gelernt. In Italien war er bereits selbstständig, produzierte Sandalen – die Nachfrage war gross. Doch mit der Zeit verlor er Verträge. «Gegen Billigproduktionen aus China war ich nicht mehr konkurrenzfähig.» Aus Angst vor dem Ruin gab er seinen Traumberuf auf, arbeitete in verschiedenen Branchen, zuletzt auf dem Bau. Dann kam Mary-Salvatrice – la Salvatrice, die Retterin.
Domenico: «Sie hat mich wirklich gerettet, allein hätte ich es nicht geschafft.» Dass sich die beiden gefunden haben, nennen sie Schicksal. Seit knapp acht Jahren sind sie nun geschäftlich und privat ein Paar. Das Lederatelier in Beringen führen sie nun im fünften Jahr. Domenico macht das Handwerk, seine Partnerin unterstützt ihn im Einkauf und kümmert sich um alles Administrative.

Die beiden Yorkshire-Terrier Jimy und Glory geben den Ton an. «I nostri piccoli bodyguards», lacht Mary-Salvatrice. Bild: Claudia Riedel

Inzwischen haben sie schon einige Stammkunden. Doch Ende des Monats geht die Rechnung noch nicht auf. Mary-Salvatrice, die noch als CFO eines Unternehmens für Kältetechnik tätig ist, steuert teilweise finanziell etwas bei. Das sagen die beiden offen und dafür ist Domenico seiner Partnerin auch sehr dankbar: «Wir wollen mit unserem Geschäft nicht reich werden, aber es wäre schön, wenn es sich selbst trägt.»

Am Standort fehlt die Laufkundschaft

Mund-zu-Mund-Propaganda hat ihnen bereits schöne Aufträge eingebracht. So etwa den einer Zürcher Fotografin, die sich ein komplettes Taschen-Set in ihrer Lieblingsfarbe Türkis anfertigen liess. Doch die Laufkundschaft fehlt. «Unser Laden liegt direkt an der Bushaltestelle Sonne. Die Leute schauen durchs Schaufenster, sind neugierig», sagt Mary-Salvatrice. «Aber sie dürften ruhig mutiger sein und einfach mal reinkommen.» Domenico nickt. «Wir quatschen niemandem etwas auf. Ich finde es schön, wenn die Leute Interesse an meinem Beruf zeigen und Fragen stellen.»

Wie präzis er mit Stanzwerkzeugen Muster in Gürtel arbeitet, wie perfekt die Nähte an den handgefertigten Taschen sind und welch kreative Einzelstücke er fertigt – all das ist fesselnd. Ganz nebenbei lehrt er einem viel über das Material. «Leder ist lebendig», erklärt er. «Wenn ich unbehandeltes Leder in die Sonne lege, wird es braun – wie unsere Haut. Deshalb braucht es Pflege, genau wie wir unsere Haut mit Bodylotion versorgen.» Und wenn man es richtig pflege, halte es ewig.

Zur Veranschaulichung holt er ein winziges Paar Kinderschuhe hervor. Eine Kundin hat es ihm vermacht. «Diese hier sind 100 Jahre alt», sagt er voller Bewunderung. Sie sehen aus wie neu.

Dieses winzige Paar Kinderschuhe ist bereits 100 Jahre alt. Es wurde stets gut gepflegt. Bild: Claudia Riedel

Und selbst wenn man die Pflege vernachlässigt hat, kann der Meister oft noch retten. So wie die alte Töff-Jacke eines Kunden. «Erst entfette ich sie, dann nähre ich das Leder mit Ledermilch, reinige es nochmals und trage zum Schluss einen Schutz auf. Falls gewünscht, kann ich das Leder auch noch färben.» Danach sieht die Jacke wieder aus wie neu.

Nur mit veganem Leder tut er sich schwer.  «Ich arbeite lieber mit natürlichen Materialien. Veganes Leder wirkt künstlich.» Und er habe diesbezüglich auch nicht viele Anfragen. Zweieinhalb Tonnen pflanzlich gegerbtes Leder lagern im hinteren Bereich des Ateliers. Rind, Kalb, Ross, dazu Felle von Kaninchen und Lamm. Es gibt noch viele Projekte, die auf ihre Umsetzung warten.

Für Domenico spielt es keine Rolle, ob es eine aufwendige Sonderanfertigung, ein kleiner Schlüsselring oder eine einfache Reparatur ist. Er liebt seine Arbeit. «Alles, was ich in diesem Sektor mache, mache ich con il cuore e la passione – mit Herz und Leidenschaft.»

Claudia Riedel