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Klettgau
27.01.2025
22.01.2025 11:43 Uhr

«Nur im Klettgau fühle ich mich daheim»

Anke Waldvogel-Hülshoff liest ihrem Mann aus ihrem neuen Sagenbuch vor.  Die beiden gehen auch gerne gemeinsam auf Recherche.
Anke Waldvogel-Hülshoff liest ihrem Mann aus ihrem neuen Sagenbuch vor. Die beiden gehen auch gerne gemeinsam auf Recherche. Bild: Claudia Riedel
In ihrem neuen Buch «De Hund vo Moskau» verbindet Anke Waldvogel-Hülshoff historische Schauplätze, fantasievolle Sagen und die Schaffhauser Mundart. Für die Schriftstellerin ist das Klettgau nicht nur eine Quelle der Inspiration, sondern ein Ort tiefer Verbundenheit.

Es ist die unerfüllte Liebesgeschichte zwischen einer Kindsmagd und einem ihrer Schützlinge, «der sie schüüli gäärn gha und zunere gsäit hät, wenn er mol gross säi, well er si hüroote.»
Und es ist die Lieblingsgeschichte von Autorin Anke Waldvogel-Hülshoff aus ihrem neuen Schaffhauser Dialekt-Sagenbuch «De Hund vo Moskau». Besonders mag sie die Figur der Magd Magdalena Moor: «Und dass die Geschichte so schön abgerundet ist.»
Die geplante Hochzeit zwischen Berchtold und seiner Kindsmagd kam jedoch nie zustande. Doch die Zuneigung überdauerte sogar den Tod: «Äinzig de Berchtold hät d Magdalena, sini eemoligi Chindsmagd, wo etzt en Gäischt gsi isch, chöne sää.»

«Sagen fangen immer irgendwo an»

Und diese Magdalena, die 1637 auf dem Friedhof in Neunkirch beerdigt worden sein soll und dort ihren Berchtold zu Ostern und Weihnachten jeweils als Geist besuchte – gab es die denn wirklich? «Wer weiss», sagt Anke Waldvogel geheimnisvoll. «Zwar ist die Geschichte frei erfunden, aber sie könnte sich natürlich auch so oder ähnlich zugetragen haben.»
In ihrem zweiten Sagenbuch entführt Anke Waldvogel-Hülshoff die Leser mit fantasievollen Erzählungen an 13 Orte, die allesamt im Kanton Schaffhausen verankert sind. «Eine Sage orientiert sich meist an einem realen Ort», so die Autorin. «Sonst wäre es ein Märchen.»
Aber sind Sagen nicht Geschichten, die man von früher kennt – vom Hören-Sagen?  «Sagen fangen immer irgendwo und irgendwann an, ob das ich bin oder ob das vor dreihundert Jahren jemand war, spielt keine Rolle.» Der gelernten Kunstmalerin ist wichtig zu betonen, dass die Geschichten alle aus ihrer Fantasie stammen. «Manchmal können die Leute das nicht glauben, und denken, ich hätte sie irgendwo abgeschrieben. Das ist aber nicht der Fall.» 

«Zwoo Fraue, zwee Manne, zwaa Chind»

Und obwohl die Sagen der Fantasie entsprungen sind, gibt es darin auch einiges über die Region zu lernen. Zum Beispiel, was historische Orte angeht. Hans Ueli Waldvogel, Ehemann und Verleger der Bücher seiner Frau sagt: «Nicht jeder weiss, dass es in Ramsen ein Moskau gibt oder dass in Siblingen mal eine Burg stand.» Doch am meisten zu lernen gäbe es über die regionale Mundart. Sprache ist dem Ehepaar wichtig. Beide haben Freude am Erhalt von Dialektwörtern. Die gebürtige Holländerin Anke Waldvogel-Hülshoff hat sich intensiv mit der Schaffhauser Mundart beschäftigt, und unter anderem mehrere Gedichte, ein Löhninger-Lied, eine Novelle und ein Kinderbuch auf Mundart verfasst.
«Am Anfang habe ich die Wörter auswendig gelernt», so Waldvogel-Hülshoff. «Zwoo Fraue, zwee Manne, zwaa Chind.» Inzwischen gehören die Mundartwörter ganz natürlich zu ihrem Wortschatz. Und im Alltag kommen immer wieder neue dazu. Hans Ueli Waldvogel:  «Manchmal bringt meine Frau von unterwegs ein neues Wort mit oder mir kommt plötzlich wieder eines in den Sinn.» So wie «hütze» – also einen Sack schütteln. «Das Wort kommt aus der Landwirtschaft. Man hat den Kartoffelsack gehützt, damit noch mehr Kartoffeln hineinpassen.» Solche Ausdrücke schreibt Anke Waldvogel dann direkt auf. «Vielleicht brauche ich sie irgendwann.»

«Für mich ist der Computer nur eine Schreibmaschine»

Und wenn Anke Waldvogel erst einmal eine Idee gefasst hat, dann sprudelt es nur so aus ihr heraus. Dann erfindet sie innert Tagen Figuren und ihre Geschichten. Zusammen mit ihrem Mann geht sie auf Entdeckungsreise, die beiden recherchieren, fotografieren und diskutieren, bis die Geschichte steht. «Wir sind aber kein professioneller Verlag», sagt Hans Ueli Waldvogel, und seine Frau ergänzt: «Für mich ist der Computer nur eine Schreibmaschine. Ich bin froh, dass mein Mann die Gestaltung der Bücher macht.»

Bei den beiden muss immer etwas gehen. «Wir sind gerne kreativ, auch im Häuserbau und -umbau.» Seit 56 Jahren ist das Ehepaar verheiratet, hat drei erwachsene Töchter und insgesamt sechsmal ein neues Haus eingerichtet. Zuletzt vor eineinhalb Jahren. Für den modernen Neubau in Löhningen mussten auch neue Möbel her. «Unsere antiken Sachen haben nicht dazu gepasst», so die 75-Jährige. Denn für sie ist wichtig: «Am Schluss muss das Gesamtbild stimmen.»
Und am besten stimmt das Gesamtbild für die Künstlerin im Klettgau. «Löhningen, my love», ist ihr persönlicher Slogan.  «Nur hier fühle ich mich wirklich daheim.» Das Klettgau ist der Schlüssel für ihre Arbeit. «Dass ich hier geerdet bin, ist der Ausgangspunkt für alles Kreative, was ich mache.» Und das sind neben der Schriftstellerei, Bilder, die sie malt, Kunst, die sie kreiert, Kleider, die sie näht, Häuser, die sie einrichtet oder Gärten, die sie gestaltet.

Familiengeschichte mit Verbindung ins Klettgau

Dass ihr das ausgerechnet im Klettgau so gelingt, mag ein Zufall sein – oder es steckt mehr dahinter. Denn Anke Waldvogel-Hülshoff findet in ihrer Familiengeschichte geografische und historische Verbindungen ins Klettgau.
Anke Waldvogel-Hülshoff entstammt dem alten westfälischen Geschlecht Hülshoff (ab 1476, bis heute, von Droste zu Hülshoff), dessen Stammsitz die Wasserburg Hülshoff bei Münster ist.
Anfang des 16. Jahrhunderts spielte sich hier ein dramatisches Kapitel der Reformationszeit ab. Mit dem «Sturm auf den Dom» eroberte die Täuferbewegung die Stadt. Vorgängig zu diesen Ereignissen wurde ausgerechnet in Schleitheim im Klettgau die sogenannte «Ur-Bibel» der Täuferbewegung formuliert. Das Manifest gilt als eines der ersten formellen Bekenntnisse der Täufer und hält ihre wesentlichen Glaubensprinzipien fest.
Anke Waldvogel-Hülshoff: «Auch wenn ich nicht an Wiedergeburt glaube, irgendeine Verbindung spüre ich hier im Klettgau. Für mich schliesst sich hier ein Kreis.»  

 

Claudia Riedel