Jede vierte Person über 55 Jahre ist in der Schweiz von Einsamkeit betroffen. Bei den über 85-Jährigen ist es sogar mehr als ein Drittel, wie der Schweizer Altersmonitor zeigt. Nicht immer sind es Menschen, die alleine leben.
«Bock»: Man kennt den Spruch «Alleinsein ist nicht einsam». Aber wie kann man sich in Gemeinschaft einsam fühlen?
Hana Uehlinger: Das ist gar nicht so selten. Denn entscheidend ist nicht, wie viele Leute um mich herum sind, sondern wie die Qualität der Beziehungen ist. Vertrauen und Freundschaft sind essenziell. Selbst Menschen, die gut in ihre Familie eingebettet sind, können sich einsam fühlen. Oft liegt es daran, dass vieles nicht mehr so ist wie früher – sie sehnen sich nach vergangenen Zeiten.
Was sind weitere Gründe für die Einsamkeit?
Uehlinger: Ein grosses Problem sind sicher die Finanzen. Wenn das Geld fehlt, schränkt das ein. Man kann sich Ausflüge nicht mehr leisten oder ist im Dauerstress, weil man sich stets sorgen ums Geld macht. Auch der Beginn von Demenz kann einsam machen. Viele ziehen sich zurück, weil sie merken, wie sie sich verändern, oder das Umfeld nimmt Abstand, weil es das Verhalten nicht einordnen kann. Hinzu kommen gerade im Alter der Verlust des Partners oder von Freunden.
Schadet Einsamkeit der Gesundheit?
Uehlinger: Ja, ganz klar. Wer sich einsam fühlt, bewegt sich weniger, spricht seltener mit anderen oder ernährt sich ungesund. Das kann zu Bluthochdruck und Depressionen führen und sogar Demenz begünstigen. Wer sich einsam fühlt, hat eine kürzere Lebenserwartung. Hinzu kommt die Gefahr bei Stürzen. Einsame Leute werden oft zu spät gefunden.
Wie erkennt man, dass jemand einsam ist?
Uehlinger: Das ist schwierig. Viele verstecken es, es heisst dann oft: «Mir geht es gut.» Man muss ein bisschen nachhaken und genau zuhören. Andere entwickeln Ängste und schränken sich ein. Es kann manchmal schwierig sein, an die Menschen heranzukommen.
Wie gelingt es?
Uehlinger: Am besten, indem man sich Gedanken macht, welche Themen die betroffene Person interessieren könnten oder direkt nachfragt. Vielleicht hat sie eine Plattensammlung in der Wohnung oder strickt gerne. Dann kann man einen konkreten Vorschlag machen, etwas zu unternehmen.
Kann man als Aussenstehender etwas tun?
Uehlinger: Bereits eine nachbarschaftliche Aufmerksamkeit hilft viel. Man könnte darauf achten, ob das Licht im Nachbarhaus brennt, einmal ein Essen vorbeibringen, jemanden zum Einkaufen mitnehmen oder einfach immer mal wieder sagen: «Komm rüber, wenn etwas ist.»
Wie können Betroffene selbst aktiv werden?
Uehlinger: Wir haben in der Region viele Angebote. Es gibt die Senioren Agenda von Pro Senectute, wir haben im Netzwerk Gesundheit Durachtal viele Veranstaltungen, an denen man günstig bis gratis teilnehmen kann. Die Kirchen bieten ebenfalls ein grosses Angebot. Das Rote Kreuz hat das «Offene Ohr» wo man telefonisch Zeit und Zuwendung findet. Es gibt Besuchs- und Begleitdienste. Viele Quartiere haben Mittagstische. Natürlich ist dadurch die Einsamkeit nicht plötzlich weg, aber es gibt Struktur und man lernt neue Leute kennen. Auch Bewegung tut gut. Rausgehen und einen Spaziergang machen, kann schon helfen.
Trotz der vielen Angebote bleibt das Problem. Warum ist das so?
Uehlinger: Gerade im Alter fehlt manchen auch die Kraft, etwas zu unternehmen. Andere sind schon oft enttäuscht worden und mögen sich deshalb nicht mehr aufraffen. Manchmal sind es auch die Erwartungen, die nicht mehr erfüllt werden können. Oder man schämt sich, Hilfe zu suchen und über seine Gefühle zu sprechen. Dabei kann die Einsamkeit jede und jeden treffen.