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Gesundheit
24.12.2024
20.12.2024 09:19 Uhr

An Heiligabend alleine vor dem TV

Klaus Kurth sieht seine Familie alle zwei, drei Jahre. «Wenn es hoch kommt.»
Klaus Kurth sieht seine Familie alle zwei, drei Jahre. «Wenn es hoch kommt.» Bild: Claudia Riedel
Es gäbe viele Geschichten, die man über Klaus Kurth schreiben könnte. Der 84-Jährige blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Bis ins hohe Alter arbeitete er als Kiefer- und Gesichtschirurg. War viel unterwegs. Kaum vorstellbar, dass sich dieser Mann einsam fühlen kann. Doch Einsamkeit ist vielschichtig.

Die Wohnung ist festlich geschmückt, an den Wänden hängen Fotos, der Grosse Brockhaus steht im Büchergestell, und auf dem Regal glänzt ein Pokal für den «Besten Papa der Welt». Mit Klaus Kurth sitzt man gerne am Tisch. Er ist zuvorkommend, gebildet, lächelt stets freundlich und hat viele spannende Geschichten zu erzählen. Zum Beispiel, wie er damals in der DDR Ehrendienst leisten musste, um überhaupt studieren zu dürfen. «In der Armee habe ich mich sehr bemüht, nicht negativ aufzufallen.» Wie er wegen der begrenzten Studienplätze zum Auslandsstudium nach Moskau delegiert wurde und als einer der ersten Deutschen aus der DDR nach Stalingrad (heute Wolgograd) flog. «Ich wollte unbedingt Medizin studieren.» Wie er in Thüringen als Facharzt für Kiefer- und Gesichtschirurgie arbeitete und nach der Wende in Köln landete.

«Ich war ein Familienmensch»

Doch da sind auch die Geschichten von Brüchen. Wie ihn die Trennung von seiner Frau traf: «Ich war eigentlich ein Familienmensch. Doch nach der Scheidung brach das alles weg.» Wie er an Krebs erkrankte und seinen Job verlor. Wie er in Luzern an einen dubiosen Arbeitgeber geriet, der ihn um seinen Lohn prellte. Und immer hat er weitergemacht, weitergearbeitet: in Zürich, St. Moritz, Bern und zuletzt in Gottmadingen bis zu seinem 80. Lebensjahr. «Mein Chef meinte dann, du hast genug geschafft, jetzt ist Zeit, aufzuhören.» Klaus Kurth lebte da noch in einer grossen Wohnung im Beringerfeld. Zu seinen Nachbarn hatte er kaum Kontakt. «Ich bin ja immer früh aus dem Haus gegangen und spät heimgekommen.» Schnell habe er sein Team und seine Patienten vermisst. «Plötzlich war das Gefühl weg, gebraucht zu werden.»

Anschluss im Betreuten Wohnen

Der Umzug ins Haus Durachtal in Merishausen vor eineinhalb Jahren sei ein Glücksfall gewesen. In seiner schönen, kleinen Alterswohnung kann Klaus Kurth selbständig leben und sich Unterstützung holen, wann er sie braucht. «Ich fühle mich hier wirklich sehr gut aufgehoben und bin für die Hilfe dankbar.» Hier im Haus findet er eigentlich immer jemanden zum Reden. «Nur die Ur-Merishauser verstehe ich manchmal nicht, wegen ihres Dialekts», grinst der Rentner. «Zu meinen Nachbarn habe ich einen guten Kontakt. Morgen, am ersten Weihnachtstag, bin ich bei ihnen zum Essen eingeladen.»

Doch auch in dieser Gemeinschaft, gibt es Momente der Einsamkeit. Den heutigen Heiligabend verbringt Klaus Kurth allein – genauso wie Silvester. «Vermutlich vor dem Fernseher, das lenkt mich ab.» Die Feiertage seien mit das Schwierigste. «Da spürt man diese Abgeschiedenheit und merkt, dass die Familie fehlt.»

Zu seiner Familie gehören auch zwei erwachsene Töchter und ein Enkel. Sie leben in Leipzig. Man hat wenig Kontakt. «Wir schreiben uns mal eine SMS. Wenn es hochkommt, sehen wir uns alle zwei, drei Jahre.» Man sei nicht verstritten, auch zur Ex-Frau habe er nach wie vor einen guten Draht. «Aber ich bin halt aussen vor.» Die Ex habe neu geheiratet und lebe mit ihrem Partner in der Nähe der Töchter. «Da ist der Kontakt viel enger», so der 84-Jährige. «Das ist nicht schön. Aber es ist, wie es ist.»

Den Töchtern nicht zur Last fallen

Zurück nach Deutschland zu gehen, habe nie zur Debatte gestanden. Er wolle seinen Töchtern nach all den Jahren nicht zur Last fallen. Auch finanziell gehe es ihm in der Schweiz besser. «Die Krankenkassen in Deutschland würden mich gar nicht mehr aufnehmen.» Obwohl Klaus Kurth um Jahre jünger wirkt, als er ist, kennt auch er die Altersgebrechen. Herz-Kreislauf, die Augen und die Prostata bereiten ihm Probleme. Vergangenes Jahr wurde er operiert und war danach stationär im Spital. «Die anderen Patienten im Zimmer bekamen Besuch und ich nicht.» Umso schöner sei dann das Heimkommen ins Haus Durachtal gewesen. «Hier hat man sich wieder nach mir erkundigt, das tat mir gut.»

«Ich würde bei Coop Regale einräumen»

Und noch etwas anderes täte ihm gut. «Wenn man so in den Tag hineinlebt und nur darauf wartet, dass man ins Jenseits gerufen wird, ist das schon nicht schön.» Was sich Klaus Kurth darum wünscht, ist eine Aufgabe. Egal ob ehrenamtlich oder bezahlt. «Ich würde in einem Lager arbeiten, bei Coop oder bei Migros Regale einräumen oder fürs Rote Kreuz Weihnachtspakete packen.» Hohe Ansprüche hat er nicht: «Ich möchte einfach wieder gebraucht werden.»

 

Nützliche Adresse:

  • sh.prosenectute.ch
  • netzwerk-durachtal.ch
  • infosenior.ch
  • srk-schaffhausen.ch
  • Offenes Ohr SRK: 052 630 20 39
Claudia Riedel