«Wenn es draussen düster wird, kippt meine Stimmung. Mir fehlt dann der Sinn im Leben. Den Sommer über ging es mir besser. Aber jetzt spüre ich, wie die schlechten Gefühle kommen. Ich habe ADHS und Depressionen. Angefangen hat es schon mit etwa acht Jahren. Da hatte ich die ersten Gedanken, dass ich nicht auf dieser Welt sein möchte. Sie begleiteten mich durch die ganze Primarschulzeit. Damals erzählte ich es allen, weil ich gar nicht wusste, was es wirklich bedeutet. Irgendwann ging meine Lehrerin auf meine Mutter zu und es gab viele Gespräche. Die haben mir auch geholfen. Trotzdem kamen die dunklen Gedanken beinahe täglich. Oft fühlte ich mich krank, hatte Bauchschmerzen und wenig Energie. In der Primarschule hatte ich nur einen richtigen Freund. Ich wurde gemobbt und entwickelte ein Aggressionsproblem. Fast jede Woche geriet ich in eine Schlägerei. Meistens hiess es dann, ich sei schuld – ich war ja der mit ADHS. Trotz allem habe ich meine Leistungen in der Schule immer erbracht. Ich hatte immer sehr gute Noten. In der Sekundarschule wurde ich «normaler». Das neue Umfeld tat mir gut, ich fand neue Freunde und hatte nichts mehr mit den Mobbern von früher zu tun. Seither gibt es immer wieder Phasen, in denen es mir richtig gut geht. Glücklich fühle ich mich zum Beispiel, wenn ich mit meinem Motorrad unterwegs bin – früher war es mein Töffli. Oder wenn ich mit meinen Freunden Zeit verbringe. Wir haben viel Spass zusammen und ich kann mich bei ihnen emotional öffnen – besser als in meiner Familie. Vor zwei Jahren ist mein Vater plötzlich verstorben. Ich vermisse ihn sehr, denn zu ihm hatte ich immer einen guten Draht. Es ging alles so schnell und ich mache mir grosse Vorwürfe, dass ich mich nicht richtig von ihm verabschiedet habe. Ich habe den Moment für ein letztes, schönes Gespräch verpasst. Meine Eltern lebten getrennt und etwa eine Woche vor seinem Tod rief mich mein Vater an, um zu fragen, ob ich vorbeikommen möchte. Ich war gerade mit Freunden unterwegs, also verabredeten wir uns für ein paar Tage später. Doch sein Zustand verschlechterte sich blitzschnell. Als ich ihn das nächste Mal sah, war er voll von Schmerzmitteln und hat wirr geredet. Man sagte mir zwar noch, ich solle ihm alles sagen, was ich wolle – aber ich konnte es nicht. Ich weiss nicht warum, aber ich habe es in diesem Moment einfach nicht geschafft. Das bereue ich sehr. Wegen meines ADHS nehme ich Ritalin. Es hilft mir, mich besser zu konzentrieren, aber leider auch auf die negativen Gedanken. Wenn ich in einer Gedankenspirale festhänge, finde ich nur schwer einen Ausweg. Ins Grübeln gerate ich, wenn ich nichts zu tun habe oder wenn es draussen dunkler wird. Eine Zeit lang habe ich mich mit Gamen abgelenkt, aber das macht mir inzwischen keinen Spass mehr. Ich habe auch Joints geraucht, das hat es aber nicht besser gemacht. Es hat keines meiner Probleme gelöst. Antidepressiva möchte ich nicht nehmen. Ich war aber schon bei einer Psychologin. Sie hat mir geraten, mir vorzustellen, meine negativen Gedanken in eine Kiste zu packen, diese Kiste in einen Zug zu stellen und dem Zug beim Wegfahren zuzusehen. Das hilft mir manchmal. Sie empfahl mir auch, Tagebuch zu schreiben und mich intensiver mit mir selbst zu beschäftigen. Lange hatte ich Probleme, mich selbst zu mögen. Da spielten auch Körperideale eine Rolle. Früher war ich fester und hatte weniger Muskeln. Heute trainiere ich und fühle mich in meinem Körper wohl. Ich glaube, da bin ich auf einem guten Weg. Im Moment bin ich im dritten Lehrjahr. Das Arbeiten gefällt mir und solange ich beschäftigt bin, ist alles super. Nach der Lehre möchte ich noch die Berufsmaturität machen und mich weiterbilden. Vielleicht etwas in die Richtung Elektroingenieur. Das hat mir schon früher Spass gemacht. Als Kind habe ich mit meinem Vater kleine Blinklichter zusammengebastelt. Daran erinnere ich mich gerne. Ausserdem möchte ich reisen. Asien reizt mich sehr. Vielleicht treffe ich dort sogar auf meine Lieblingstiere die Pandabären. Sie sind so lustig und tollpatschig. Kaum vorstellbar, dass sie draussen in der Welt überleben. Aber sie tun es.»
*Name von der Redaktion geändert