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Gesundheit
22.10.2024
22.10.2024 14:34 Uhr

«Vorbereitet ist man auf Brustkrebs nie»

Der Tumor wurde aus Sylvias Brust entfernt. «Das war befreiend. Endlich war dieser böse Knollen draussen.»
Der Tumor wurde aus Sylvias Brust entfernt. «Das war befreiend. Endlich war dieser böse Knollen draussen.» Bild: Claudia Riedel
Sylvia kämpft seit zwei Jahren gegen den Brustkrebs und die Folgen der intensiven Therapien. Trotz aller Belastungen hat sie gelernt, die Krankheit anzunehmen. Und sie gibt nicht auf – ihre Entschlossenheit, das Leben zu geniessen, bleibt ungebrochen.

Es ist kein Schnitt, der unter dem Pflaster heilt. Kein gebrochener Knochen, der wieder zusammenwächst. Mit der Diagnose Brustkrebs verändert sich ein Leben für lange Zeit. Ob es jemals wieder so wird, wie es früher war, bleibt ungewiss.

Sylvia musste lernen, dies zu akzeptieren. «Ich dachte immer, wenn ich alles durchhabe, bin ich wieder dieselbe wie vorher», sagt die 46-Jährige heute. «Aber das war ein Irrglaube.» Die grosse Angst blieb, genauso wie die Schlafprobleme und die stete Müdigkeit. «Man ist der Krankheit ausgeliefert.»

Den Knoten in der Brust entdeckte Sylvia vor zwei Jahren selbst. Keine Sekunde habe sie überlegt, ob es eine zyklusbedingte Schwellung sein könnte. Obwohl sie familiär nicht vorbelastet war, wusste sie sofort: «Da stimmt etwas nicht.» Über ihre Frauenärztin erhielt sie einen Termin zur Mammographie, doch die Röntgenuntersuchung brachte noch keine Klarheit. Es hiess: «Da ist was, aber wir wissen noch nicht, was.»

 

«Meine Angst hat sich bestätigt»

Erst rund drei Wochen später, nach einem Gang in die Röhre (MRI) und einer Gewebeentnahme, sitzt Sylvia wieder bei ihrer Frauenärztin. «Diese drei Wochen waren schlimm. Ich habe immer geahnt, dass die Diagnose schlecht sein wird.» Und trotzdem seien die Worte der Frauenärztin nochmals ein Schock gewesen. Bösartig! «Meine Angst hat sich bestätigt und meine Emotionen überschlugen sich in diesem Moment.» Sie weinte, war gleichzeitig wütend und ihre Gedanken kreisten. «Was habe ich falsch gemacht? Warum ausgerechnet ich?» Zum Glück sass ihr Partner neben ihr und konnte sie auffangen und beruhigen. «Ich habe nur gesagt: ‹Ich will leben!›» Und die Frauenärztin antwortete: «Das werden sie.»

 

Sofort drehte sich alles um den Krebs

Doch das Leben wurde schlagartig umgekrempelt. «Ich konnte per sofort nicht mehr arbeiten, das war sehr schwer», erzählt die gelernte Fachfrau Gesundheit. Ab diesem Moment drehte sich alles nur noch um den Brustkrebs und wie man ihn bekämpft. «Für mich war klar, ich mache alle Therapien mit.»

Die Chemotherapie erlebte sie als sehr traumatisch. «Sie ist der Teufel.» Schon nur, wenn sie das Wort Chemotherapie höre, ziehe sich bei ihr alles zusammen. «Mir ging es so schlecht, dass ich dachte, ich sterbe.» Das starke Medikament wurde Sylvia intravenös verabreicht. Alle zwei Wochen hing sie am Tropf und die rote Flüssigkeit gelang in ihren Blutkreislauf. «Das hat mir so zugesetzt, dass ich eine Zeit lang sogar Angst vor der Farbe Rot hatte.»

Denn die Chemo bekämpft nicht nur den Krebs, sondern das Medikament richtet auch im Körper viel Schaden an. «Innert einer Woche verlor ich alle Haare», erzählt die 46-Jährige. Das habe sie stark getroffen. «Ich konnte einige Tage nicht in den Spiegel schauen.»

Und es folgte noch mehr. Ihre Zähne begannen zu wackeln: «Wie bei einem Kind. Ich konnte kaum mehr beissen.» Die Sehkraft wurde weniger: «Ich hatte Angst, zu erblinden.» Der Geschmack veränderte sich: «Wasser schmeckte nach Metall.» Ihre Nerven waren so geschädigt, dass sie den Boden unter den Füssen nicht spürte: «Ich ging wie eine Betrunkene.» Und die Blutzirkulation war so gestört, dass die Haut unter den Nägeln schwarz war.

Immerhin konnte sie als Fachfrau Gesundheit die Symptome jeweils einordnen. «Das war ein Vorteil.»

Und sie wusste auch, wie sie sich zu pflegen hatte. Und dabei ging es nicht nur um trockene Haut oder taube Füsse, sondern auch darum, sich hübsch zu machen.

 

Das Frausein erhalten

«Diese Selbstfürsorge war und ist mir wichtig. Sich mal ein Fussbad zu gönnen oder die Fingernägel zu lackieren, tut mir gut.» Mit einer Perücke habe sie sich wieder fraulich gefühlt. «Den Wert ‹Frausein› wollte ich unbedingt erhalten.»

Und trotzdem sagt sie: «Egal, wie informiert man ist oder wie gut einem die Ärzteschaft aufklärt, vorbereitet ist man auf Brustkrebs nie.»

Die Übelkeit, ausgelöst durch eine Chemo, sei nicht mit gewöhnlichem Unwohlsein zu vergleichen. Ebenso wenig sei die Müdigkeit, ausgelöst durch das sogenannte Fatigue-Syndrom, nicht mit einer gewöhnlichen Erschöpfung gleichzusetzen. «Es ist ein ganz anderes Gefühl, erschöpft zu sein nach einem langen Arbeitstag oder einer ausgedehnten Wanderung, als wenn ich, obwohl ich nichts gemacht habe, erst gegen Mittag aus dem Bett komme.» Das schlage auf die Psyche und es brauche viel Kraft, sich dann nicht einfach gehen zu lassen. Sylvia hat es geschafft, positiv zu bleiben. Auch dank ihrem Partner. «Er ist immer an meiner Seite, motiviert mich und erinnert mich auch daran, Pausen zu machen.» Dafür sei sie sehr dankbar. Generell für ihr ganzes soziales Umfeld. «Man braucht Vertraute, allein schafft man es nicht.»

Denn der Weg ist lang. Auf die Chemotherapie folgte die Operation. Der Tumor wurde aus Sylvias Brust entfernt. «Das war befreiend. Endlich war dieser böse Knollen draussen.» Die Brust konnte dabei erhalten bleiben. Das umliegende Gewebe wurde im Nachgang bestrahlt. «Diese innerlichen Verbrennungen waren sehr schmerzhaft.»

 

Plötzlich in den Wechseljahren

Aktuell ist sie in einer Anti-Hormontherapie. Sie soll das mögliche Wachstum von Krebszellen stoppen, die durch Hormone wie Östrogen angeregt werden können. «Von heute auf morgen war ich in den Wechseljahren», so Sylvia. Nur dass sie die Wallungen, Schweissausbrüche und Schlafprobleme nicht phasenweise hat, sondern andauernd.

Aber auch damit werde sie klarkommen. «Jeden Tag, den ich am Leben bin, geniesse ich. Auch wenn es manchmal anstrengend ist.» Zukunftspläne macht sie zurzeit keine. Sie lebt bewusst im Jetzt. «Das Leben geht weiter. Aufgeben kommt nicht infrage!»

 

Tipp: Am Dienstag, 29.10. findet um 19 Uhr im Meetingpoint die öffentliche Veranstaltung «Treffpunkt Gesundheit: Brustkrebs-Behandlung: Wie lebe ich danach?» statt. Der Eintritt ist frei.

«Jeden Tag, den ich am Leben bin, geniesse ich. Auch wenn es manchmal anstrengend ist», sagt Sylvia. Für die 46-Jährige kam Aufgeben nie infrage. «Für mich war klar, ich mache alle Therapien mit.» Bild: Claudia Riedel
Claudia Riedel, Schaffhausen24