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Wirtschaft
24.09.2024

Mehr Leben in der Gasse

In der Stadthausgasse kommt wieder mehr Leben auf, nachdem die Baustelle die Gasse nahezu zum Erliegen brachte.
In der Stadthausgasse kommt wieder mehr Leben auf, nachdem die Baustelle die Gasse nahezu zum Erliegen brachte. Bild: Claudia Riedel
Sie haben gewartet, gerechnet, gelacht, geputzt und auch mal geflucht. Die Gewerbler:innen an der Stadthausgasse hatten in den vergangenen Jahren viel um die Ohren. Manche sind gegangen, andere dazugekommen. Jetzt schauen sie zuversichtlich in die Zukunft. Oder sie geben dem Ganzen zumindest eine Chance.

Die Stadthausgasse ist wieder frei (also fast). Es gibt wieder ein Durchkommen (wenn auch nicht ganz ohne Hindernisse). Besonders im oberen Teil siehts schon wieder ordentlich aus. Wenn Edoardo Manueddu vor seinem Laden an der Drehscheibe sitzt und töpfert, wirkt die Gasse, die jetzt über Jahre von Bauarbeiten geprägt war, fast schon idyllisch.

Vom Baulärm hat Edoardo nicht viel mitbekommen – ebenso wenig vom Staub, von der ausbleibenden Kundschaft und von der Not der älteren Fussgänger:innen, die Stadthausgasse zu passieren. Diese Geschichten erzählen andere.

Edoardo ist neu in der Gasse, hat seinen Laden «Cera una volta…» erst vor Kurzem eröffnet und er ist zuversichtlich: «Der Standort ist optimal. Als ich den Laden gesehen habe, hat es gleich gefunkt.» So wie damals, vor einem Jahr, als er in seiner Heimat auf Judyta traf. Wegen ihr kam der Sarde nach Schaffhausen. Und seine Liebe war es auch, die ihn letztlich in die Stadthausgasse führte. Judyta entdeckte das leerstehende Lokal per Zufall, als sie einmal falsch abgebogen war. Doch sie erkannte das Potenzial. Auch für Edoardo, der zuvor bereits einige Läden besichtigt und sogar schon auf einer Mietfläche im Herblingermarkt ausgestellt hatte, fühlte es sich von Anfang an richtig an. Dieses Gefühl ist für ihn entscheidend – seine gesamte Arbeit dreht sich darum. Es geht ihm um Tradition, Kultur und den Respekt gegenüber seinen sardischen Vorfahren. «Wenn ich an der Drehscheibe sitze, spüre ich ihre Kraft», sagt er.

«Der Standort ist optimal. Als ich den Laden gesehen habe, hat es gleich gefunkt», freut sich Neuzuzüger Edoardo Manueddu. Bild: Claudia Riedel

Baumaterial vor dem Schaufenster

Edoardo hat das Handwerk von der Pike auf gelernt, sich von den Techniken und Geometrien seiner Ahnen inspirieren lassen. Was als Hobby begann, entwickelte sich mit zunehmendem Können zur Leidenschaft, bis er schliesslich in Italien seinen eigenen Laden eröffnete. Edoardo: «Wenn meine Kunst in Sardinien Anklang fand, wird sie doch sicher auch in Schaffhausen gefallen.» Bei Ladeneröffnung war das Schaufenster zur Krummgasse hin noch von Baumaterial verstellt. «Jetzt freue ich mich immer, wenn die Leute auch von dieser Seite in den Laden schauen.» Das Sortiment an Krügen, Vasen und Schalen getöpfert in der Stadthausgasse wächst stetig. Jedes Stück ist am Boden sorgfältig gelabelt mit: «handgefertigt Schweiz Schaffhausen».

Einer dieser Krüge steht bei Žanka Kolarski gleich vis-à-vis. Am Holztisch in der GewürzNote schenkt sie Wasser daraus aus. «Das ist für mich selbstverständlich, dass ich meinen Nachbarn unterstütze.» Ein Satz, der prägend scheint für die Stadthausgasse. In allen Gesprächen wird immer wieder auf die Geschäfte in der Nachbarschaft verwiesen. Man gönnt sich, wenn das Geschäft läuft und man fühlt mit, wenn es nicht so ist.

«Bauarbeiter mussten mir helfen, Kundinnen in den Laden zu tragen», erzählt Žanka Kolarski. Bild: Claudia Riedel

Einnahmen massiv eingebrochen

Žanka hatte es die letzten drei Jahre nicht leicht. Die Baustelle war ihr mehr als nur im Weg. «Meine Einnahmen sind um zwei Drittel eingebrochen», sagt sie. Und neben den fehlenden Einnahmen, plagten sie noch andere Sorgen: «Ich hatte ein riesiges Loch im Keller, Kies und Geröll sind nur so hereingerieselt. Bauarbeiter mussten mir manchmal helfen, Kundinnen in den Laden zu tragen und Bautermine wurden oft nicht eingehalten», so die Unternehmerin. Nie habe sich jemand dafür verantwortlich gefühlt: «Die Stadt hat uns im Stich lassen.» Darum nehme sie auch das Projekt mit den gelben Bänkli persönlich. «Uns kann man nicht unterstützen, aber für so einen Seich von zwei Sankt Gallern hat man Geld.»

Den Bauschutt hat Žanka inzwischen selbst aus dem Keller geräumt, doch der Staub der letzten Jahre liegt noch schwer. «Ich würde gerne mal von der Stadt hören: ‹Frau Kolarski, wir putzen ihren Keller.› Das wäre mal ein Anfang.» Sie denkt laut darüber nach, wie man den oberen Teil der Stadthausgasse wieder etwas beleben könnte: «Ein paar Pflanzen, ein bisschen Grün – das würde schon einen Unterschied machen.»

Žanka hat auch ihre eigenen kleinen Pläne: «Ich werde demnächst einen doppelten Fahrradständer vor meine Ladentür stellen. Die Autoparkplätze hat man uns genommen, und der Fahrradständer in der Krummgasse ist immer überfüllt.» Trotz all der Rückschläge hat sie ihren Humor nicht verloren. Immer wieder lacht sie herzlich, macht Witze und bleibt positiv, während sie ihre Geschichten erzählt. «Ich gebe dem Ganzen hier auf jeden Fall nochmals eine Chance.» Und wie auf ein Zeichen, betreten plötzlich gleich mehrere Kunden den Laden. Sie suchen Kräuter, Salze und Tee «in grossen Mengen». Hoffentlich ein Zeichen, dass die Kasse in der GewürzNote schon bald wieder ordentlich klingeln wird.

Unternehmerin Žanka Kolarski denkt laut darüber nach, wie man die Stadthausgasse wieder etwas beleben könnte: «Ein paar Pflanzen, ein bisschen Grün – das würde schon einen Unterschied machen.» Bild: Claudia Riedel

Wieder mehr Laufkundschaft

Kai Limmer von der Uhrenwerkstatt nebenan ging es trotz der Dauerbaustelle finanziell «ganz gut». «Ich hatte zum Glück viele Auftraggeber und war weniger auf die Laufkundschaft angewiesen», sagt er. Der Lärm sei aber anstrengend gewesen, oder besser gesagt «katastrophal». «Als Uhrmacher muss ich mich bei der Arbeit konzentrieren, ein Presslufthammer hilft nicht dabei.» Dazu der ewige Dreck: «Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so viel sauber gemacht.» Besonders schwierig sei es für seine ältere Kundschaft gewesen. «Wir mussten regelmässig Leute durch die Baustelle führen.» Jetzt, da der Weg wieder frei ist, ist auch wieder mehr los auf der Gasse. «Die Frequenz und die Laufkundschaft haben sich sichtbar erhöht.» Mit dem Lärm ist es dagegen noch nicht ganz vorbei. In der nächsten Etappe wird das bisherige Stadthaus an der Krummgasse saniert. «Das gibt auch für uns nochmals ordentlich Staub und Lärm. Aber inzwischen sind wir ja abgehärtet», lacht der Uhrmacher.

«Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so viel sauber gemacht», sagt Kai Limmer. Bild: Claudia Riedel

Kuchen für die Bauarbeiter

Musiklehrer Ralph Juraubek stösst dazu. Er unterrichtet an der Musikschule Altstadt gleich obendrüber. «Der Lärm war wirklich extrem.» Glücklicherweise gehe sein Musikzimmer nach hinten raus. «Vorne haben die Fenster richtig vibriert.» Und es habe «ewigs gedauert». So lange, dass man mit einigen Bauarbeitern Freundschaft geschlossen habe. «Antonio und Fernando vermisse ich fast», erzählt Ralph. «Wir haben mal zusammen im Bauwagen Pizza gegessen und einen Kuchen habe ich ihnen auch mal gebacken. Wir hatten es echt lustig zusammen.»

Was man bisher von der neuen Stadthausgasse sehe, gefalle ihm. «Nur über das Dach beim Haus Eckstein sage ich besser nichts», grinst er. Er hoffe, dass durch das neue Stadthausgeviert mehr Leben in die Stadthausgasse komme. «Die kleinen Läden brauchen dringend Unterstützung!»

Wie schwierig es ist, zeigt ein leerstehendes Schaufenster ein paar Meter weiter in Richtung Fronwagplatz. Auf dem Aushang im Schaufenster steht: «Laden 35m² zu vermieten…Mietzins monatlich 1100 Franken». Ob sich die Miete an diesem Standort lohnt? Finanziell – fraglich. Nachbarschaftlich – in jedem Fall!

Claudia Riedel, Schaffhausen24
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