Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht – Das funktioniert beim Kuchenbuffet am Quartierfest, aber nicht bei politischen Entscheiden. Hier braucht es den Blick aufs grosse Ganze, der jedoch zunehmend verloren geht.
Ein gutes Beispiel bietet die BVG-Reform. Diese ist ein breit abgestützter Kompromiss, mit dem Bundesrat und Parlament unser Dreisäulensystem sichern wollen. Trotzdem dreht sich die Diskussion darum, wer bei einem Ja etwas mehr und wer etwas weniger Rente erhält. Während wir uns in unzähligen individuellen Rechenbeispielen verlieren und streiten, wessen Zahlen nun wirklich stimmen, verlieren wir den Blick aufs grosse Ganze:
Fakt ist, dass die zweite Säule, in der jeder für sich selbst spart, nicht mehr funktioniert. Denn aufgrund hoher Rentenversprechen und steigender Lebenserwartung wird jedem Durchschnittsrentner mehr ausgezahlt, als er in seiner eigenen 2. Säule angespart hat. Um Geld für diese Renten zu haben, bedient man sich an den persönlichen Konten der Erwerbstätigen. Die BVG-Reform senkt den Umwandlungssatz und stoppt so die Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Rentnern.
Fakt ist auch, dass vor allem Mütter nur in tiefen Pensen arbeiten und deshalb heute weder eine 2. noch eine 3. Säule aufbauen können. Die BVG-Reform ermöglicht diesen Frauen eine bessere Vorsorge, damit sie im Alter weder vom Partner noch vom Staat abhängig sind. Und ja: Wer neu BVG-pflichtig wird, spürt dies durch höhere Lohnabzüge. Doch langfristig zahlt sich das massiv aus. Die eigenen Einzahlungen werden im Schnitt nämlich verdreifacht – durch Arbeitgeberbeiträge und Kapitalerträge. Die BVG-Reform verhilft also vor allem Müttern zu einer Rente, die zum Leben reicht.
Auch auf kantonaler Ebene steht eine Abstimmung an, die stark von persönlichen Betroffenheiten geprägt wird: Der Ausbau der A4 im Schaffhauser Stadtgebiet inklusive 2. Röhre Fäsenstaubtunnel. Schon heute erreicht diese Strecke regelmässig ihre Kapazitätsgrenzen und durch das weitere Verkehrswachstum werden Staus bald zur Normalität. Folge ist unkontrollierter Ausweichverkehr durch Innenstadt und Wohnquartiere. Ausserdem steht eine zwingende Tunnelsanierung an, weshalb der Fäsenstaubtunnel für drei Jahre (!) komplett gesperrt wird. Ohne zweite Röhre bewegen wir uns sehenden Auges auf drei Jahre Verkehrs-Chaos zu. Trotz dieser klaren Ausgangslage gibt es sehr laute Gegner. Genaues Hinsehen zeigt: Praktisch alle Gegner sind Anwohner jener wenigen Quartiere, die mit Mehrverkehr rechnen müssen. Doch im Gegenteil zum unkontrollierten Ausweichverkehr bei einer ständigen Streckenüberlastung kann man diesen Mehrverkehr durch gezielte Massnahmen auf ein Minimum reduzieren. Das ist diesen wehrhaften Anwohnern aber egal. Das Einzige, wofür sie kämpfen, ist wenig Verkehr vor ihrer eigenen Haustür. Ein politischer Einsatz für die Gemeinschaft sieht anders aus.
Wenn jeder nur an sich denkt...

Nina Schärre schreibt in ihrer Kolumne.
Bild:
zVg.
In der aktuellen Kolumne schreibt Nina Schärrer unteranderem über das Dreisäulensystem.