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Politik
14.08.2024

Raphaël Rohner: «Für mich stimmt es so, wie es ist»

An dieses Bild muss man sich erst gewöhnen: Raphaël Rohner ohne Krawatte und Anzug, dafür in legèrer Kleidung.
An dieses Bild muss man sich erst gewöhnen: Raphaël Rohner ohne Krawatte und Anzug, dafür in legèrer Kleidung. Bild: Ronny Bien, Schaffhausen24
Er gehört zu den prägenden Politfiguren der Gegenwart. Doch anstatt sich einer weiteren Legislatur zu stellen, sagt Raphaël Rohner der städtischen Politik «Adieu» und leitet einen neuen Lebensabschnitt ein. Ein Résumé mit dem abtretenden Stadtrat.

«Diesen Raum werde ich vermissen», hört man der Stimme Raphaël Rohners etwas Wehmut an. «Feinste Renaissance. Original.» Man begibt sich wahrlich auf eine Zeitreise, wenn man in sein Büro tritt. Man neigt zu sagen, dieser Ort sei für ihn geschaffen – oder gar umgekehrt? «Ich muss den Umzug ins Stadthausgeviert nicht mehr mitmachen. Lieber koste ich diese Atmosphäre hier fertig aus.» Macht durchaus Sinn, denn der Stadtrat wird Ende Jahr seine kleine Wohlfühloase verlassen. Fertig Politik, hinein ins Pensionsleben. «Ganz weg bin ich nicht, denn im Kantonsrat bin ich hoffentlich noch vertreten, wo ich mich zur Wiederwahl stelle», relativiert Raphaël Rohner. Aber er beneide seine Amtskollegen nicht, die aktuell um jede Stimme buhlen. «Ich habe viele Wahlkämpfe miterlebt und weiss, wie beansprucht man da ist.» Ihm sei es stets ein grosses Anliegen gewesen, authentisch zu sein, das Mandat würdig zu vertreten. «Eine Wahl gilt auch als Vertrauensbeweis seitens der Bevölkerung und dient zur Verpflichtung des Amtes.» Das wünscht er auch seiner Nachfolge: Mut haben, etwas anzupacken, nicht abzuheben, nichts versprechen, was man nicht halten kann, und das Privileg zu schätzen, dass das Volk einem das Vertrauen schenkt. Rohner selbst gehört zu den Politikern, die grosse Wertschätzung erfahren haben. Er versteckt sich nicht hinter einer Rolle, sondern verkörpert sie so, wie er ist, wie er wirkt. «Ich bin nur bei der Kleidung konservativ, ansonsten sehr offen», schmunzelt der «homme distingué». Ihm hört man auch gerne zu, weil er eine belesene, gewandte und gepflegte Sprachkultur mit angenehmer Tonalität beherrscht, um die Hörerschaft bei Laune zu halten. Auch erntet er mal Publikumslacher oder verschafft sich mit einem zwickenden Spruch den nötigen Respekt.

«Ich mag Menschen»

Die Nähe zur Bevölkerung, sich ihren Fragen zu stellen und auf diese valabel einzugehen, hat Raphaël Rohner stets ausgezeichnet. «Auch, wenn es vielleicht merkwürdig klingt, aber ich mag Menschen. Ich schätze den Kontakt und den Austausch. Nicht nur im Wahljahr, sondern auch davor», schmunzelt der Menschenfänger. Als Rohner Erinnerungen aus seinem politischen Leben hervorholt und erzählt, erkennt man durchaus seine Affinität zum «Storyteller». Er würde wohl eher «Conteur» sagen, immerhin wuchs der Junge Raphaël bilangue auf und pflegt auch heute noch, Begriffe elegant mit französischen Verschnörkelungen aus seinem enormen Wortschatz geschickt zu umschreiben.

Rücktritt im Einklang

Seinen Abschied von der städtischen Politbühne erklärt Raphaël Rohner damit, dass der Zeitpunkt richtig sei. «Irgendwann nach drei Legislaturen ist auch mal genug, schliesslich bin ich doch schon tief in den Sechzigern.» Sein Wunschmandat als Bildungsreferent hält er seit 2017 inne und dieses zehrt trotz grossem Gefallen an den Kräften. «Ich sagte, dass ich dann aufhöre, wenn ich mir auf Wahlplakaten gefalle oder mir in Interviews gerne zuhöre. Ich kann mich heute noch nicht sehen und hören, da schaudert es mich gleich», lacht der 66-Jährige. «Daher müsste ich noch weitermachen, denn Ideen hätte ich noch en masse.» Er sei schon noch fit, spüre aber, dass die Erholungsphase nach Belastungen mehr Zeit in Anspruch nehme. Er sagt auch: «Für mich stimmt es so, wie es ist.»

Wechsel ins Bildungsreferat

Während seiner ersten Legislatur von 2013 bis 2016 hielt Raphaël Rohner das Mandat des Baureferenten inne. Es war anspruchsvoll, er mochte aber Herausforderungen, auch wenn er nicht vom Fach war. Er übergab seiner Nachfolgerin Karin Bernath ein top aufgestelltes Referat mit einem sauberen Büro, derweil Rohner das Bildungsreferat vom damals zurückgetretenen Urs Hunziker übernahm. Bildung und Kultur, deren Dossier ebenfalls dazugehört, spiegeln auch die Steckenpferde des Klassikliebhabers wider. Er selbst absolvierte das Jurastudium und promovierte mit dem Doktortitel als Jurist.

«Ich wäre gerne Stadtpräsident gewesen, akzeptiere aber, dass ich ‹nur› Vize war.»
Raphaël Rohner, scheidender FDP-Stadtrat aus Schaffhausen

Auf Augenhöhe mit den Kids

Schaffhausen stehe im nationalen Schulranking sehr gut da, ist der Bildungsreferent stolz. «Kürzlich haben mich Schülergruppen um Selfies gebeten, da macht man so einen Spass natürlich mit.» Raphaël Rohner, der Popstar-Politiker bei den Kids? «Ui nei», kommt es wie aus der Pistole geschossen. «Bloss nicht. Ich bleibe meinen bescheidenen Werten treu und begegne den Kindern auf Augenhöhe», wobei ihm eine Szene mit einem Jungen in den Sinn kommt: «Wir liefen uns in einer Schule über den Weg und er sagte ganz cool ‹Hoi›, was ich natürlich auch mit einem ‹Hoi› erwiderte. Damit bescherte er mir ein Dauerlächeln.» Die Schülerschaft, aber auch die Lehrpersonen, hätten längst bemerkt, dass da einer ist, der bewegt. Wie zuletzt mit den bevorstehenden Schulhaussanierungen, deren (Planungs-) Kredite für die Schulanlagen im Steig, Alpenblick und Emmersberg vom Grossen Stadtrat durchgewunken wurden. «Stolz bin ich auch darauf, dass 79 Prozent der Stimmbevölkerung die Einführung einer Schulleitung per 1. Januar befürwortete.» Denn Baustellen gebe es im Schulwesen nach wie vor. So werden die Lehrkräfte entlastet, aber auch Herausforderungen, wie etwa die zunehmenden Ablenkungen durch häufigen Medienkonsum, können konzentrierter angegangen werden. «Viele können keinen anspruchsvollen Text mehr lesen und verstehen. Das hat verheerende Folgen», mahnt Rohner. Diese Vergänglichkeit, das «Schnell-schnell», trage dazu bei. Hingegen dort, wo es Konzentration brauche, wie etwa beim Lesen eines Buches oder einer Zeitung, sinke das Interesse. «Darum bin ich Verfechter von Lese- und Sprachförderung für eine gute Bildung.»

Altstadt soll Kernzone bleiben

«Gewaltig, diese Baustellen», ist auch Raphaël Rohner beeindruckt, auf die städtische Verwandlung angesprochen. Manch unsereins gab den Ärger darüber schon zum Ausdruck. «Doch man muss sehen, dass das Generationenprojekte sind. Wir investieren in die Zukunft.» Wie das Stadthausgeviert, das in die Zielgerade einbiegt. Dafür haben die umliegenden Betriebe zwar arg gelitten, was auch dem gesamten Stadtrat bewusst ist. «Uns liegt die Altstadt besonders am Herzen», entgegnet er. «Das Wegsterben der Geschäfte hat mich sehr beschäftigt, denn die Kernzone Schaffhausens war schon immer die Altstadt und das soll auch künftig so bleiben.» Rohner begrüsst es, dass mit innovativen Aktionen, wie dem First Friday, die Stadt wieder zu einem attraktiven Begegnungsort wird, wodurch die Betriebe wiederum profitieren. Es liege dann auch in der Hand der Privaten und der Unternehmen, das als Chance wahrzunehmen. «Im Fokus steht auch die zweite Reihe der Stadtgassen.»

Rohner prägte regionale Kultur mit

Auf eine frühere Baustelle ist Raphaël Rohner besonders stolz. «Die Bachturnhalle ist quasi mein Baby. Ein Veranstaltungsort in dieser Grösse fehlte uns und mittlerweile wird sie rege genutzt. Das ist für mich mit einer grossen Freude verbunden», resümiert er. Und schon bewegt er sich mitten in einem seiner Lieblingsthemen, der Kultur. «Die Vielfalt in Schaffhausen ist auch nur möglich, weil die Bevölkerung sich nicht nur für ein Thema interessiert, sondern vielseitig ist. Auf einen Klassik-Auftritt im St. Johann folgt ein Rockkonzert im Kammgarn und dann eine Ballettaufführung in der Bachturnhalle oder im Stadttheater. Alles in höchster Qualität. Das ist wirklich beeindruckend.» Ganz unschuldig an der kulturellen Entwicklung ist Monsieur Rohner ja nicht, gilt er auch hier als Befürworter einer starken und authentischen Kulturszene, die auch dank seines Engagements enorme Strahlkraft erlangt hat. Nicht nur in Klassik, Jazz, Museum und Theater, sondern übergreifend mit Subkultur und Nischenszenen, die der gesamte Stadtrat sehr wohlwollend zur Kenntnis nimmt. Die erfolgreichen Kulturtage, deren Grundidee aus der Rohner’schen Ideenfabrik stammt, gelten dabei als bester Beweis, was auch aufzeigt, dass die Kulturstrategie sehr gut im Kurs liegt. «Und wir sind viel stärker geworden bei der Unterstützung von Einzelförderbeiträgen», fügt er bei.

295 Stimmen entfernt vom Stapi

Das Amt als Stadtpräsident ist Raphaël Rohner hingegen verwehrt geblieben. 2014 trat er für die Nachfolge von Thomas Feurer gegen Peter Neukomm zur Wahl an, doch es fehlten gerade mal 295 Stimmen bis zum absoluten Mehr. «Das gehört zu unserer Demokratie, dass man mal verliert. Ich durfte einige Wahlen und Abstimmungen erleben und gewann die meisten davon.» Von Verdruss oder Neid ist nichts zu spüren. Er sei zufrieden, glücklich und vor allem dankbar, wie alles gelaufen sei in seiner politischen Karriere. Man hört schon aus der Bevölkerung, dass man ihm wenigstens eine Legislatur gegönnt hätte. «Logisch wäre ich unglaublich gerne Stadtpräsident gewesen, doch ich kann auch akzeptieren. Akzeptieren, dass ich halt ‹nur› der Vize war», lacht der Stadtrat herzhaft. Und Bern? «Der Ständerat hätte mich sehr gereizt, doch es bot sich nie die Gelegenheit. Für das Rennen im letzten Jahr war ich zu alt dafür.» Bundesrat Rohner hätte bestimmt auch interessant geklungen? Er lacht.

Neues Ziel: Tastenvirtuose

Mit der neu gewonnenen Zeit will Raphaël Rohner partizipieren, Veranstaltungen besuchen, um die kulturelle Vielfalt vollumfänglich zu nutzen. «Ich war zweimal im Hallenstadion, das ist mir alles etwas zu gigantisch. Vielmehr möchte ich die hiesige Kultur in der Stadt und im Kanton erleben oder mal ein Jazzfestival in einer anderen Stadt besuchen», blickt er voraus in seinen neuen Lebensabschnitt. «Und, ganz wichtig», ergänzt Rohner mit erhobenem Finger: «Ich will unbedingt noch Klavier lernen.» Wer weiss, vielleicht sieht man Raphaël Rohner eines Tages am Bachfest hinter dem Flügel sitzen. Zuzutrauen wäre es ihm alleweil.

Schaffhausen24, Originalmeldung Ronny Bien