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Kultur
19.03.2024
21.03.2024 08:34 Uhr

Der lüsterne Weg zum kleinen Tod

Erschöpft, aber entspannt liegt Mona Gamie auf dem Divan, währenddessen sie von den anderen in den kleinen Tod geschickt wird.
Erschöpft, aber entspannt liegt Mona Gamie auf dem Divan, währenddessen sie von den anderen in den kleinen Tod geschickt wird. Bild: Ronny Bien
Vorsicht, lesen auf eigene Gefahr! In diesem Artikel wird es schlüpfrig, ja betörend ekstatisch. Wie ein Orgasmus abendfüllend bespielt werden kann, zeigte am Samstag «Salon Morpheus» in der Bachturnhalle mit dem neusten Stück «La petite mort».

Frivolitäten, lüsterne Gedanken, Lust und Ekstase, ja, fast alle streben diesen Gelüsten nach. Wenn sich dazu auch noch ein Orgasmus ergibt, ist die heile Welt im Lot und befriedigt. Während es in der heutigen modernen Zeit immer mehr in die völlig abgeschweifte Form des Cruisings, also des schnellen Höhepunkts, tendiert, wurde das gesellschaftlich-verführerische Treiben vor vielen Jahrzehnten in total anderen Kreisen elitär gestaltet. Aufgeführt in einer anrüchigen Mischform zwischen Theater, Tanz und Gesang, um die langen Nächte ausufern zu lassen.

Melange zum Höhepunkt

1881 eröffnete Rodolphe Salis in Paris das erste Cabaret, «Le Chat Noir», und fand damit schnell Anklang in der Gesellschaft. Global schossen die Cabarets aus den Böden, bis schliesslich 1916 in Zürich das Cabaret Voltaire gegründet wurde. In den 1950er Jahren wurde die Travestie trotz Repressionen immer populärer und erst zu später Stunde öffneten sich die Bühnenvorhänge für die üppig kostümierten Diven. Namen wie die «Frères tapettes» mit Röbi Rapp und Ernst Ostertag sind auch heute noch in aller Munde. Die Varieté-Familie wuchs und 2016 wurde «Salon Morpheus» in Zürich von Thomas Kaufmann ins Leben gerufen. Mit der Erfahrung von über 40 Aufführungen gastierten sie am Samstag erstmals in Schaffhausen.

«Minuten für die Ewigkeit, die Ewigkeit für uns. Ich töte dich, du tötest mich, wir sterben Arm in Arm», singt AnNa R. schon 1996 im Lied «Der kleine Tod» der Kultband Rosenstolz. «Göttergleich und wunderbar», das wollte auch «Salon Morpheus» mit einem abendfüllenden Programm im gleichnamigen Stück «La petite mort» umsetzen. Eine Melange zwischen Liebe, Lust und Ekstase stand im Zentrum des Abends und das zweieinhalb Stunden lang, unterstrichen mit Akrobatik, Chansons, Burlesque und Cabaret.

Mona Gamie leistete Widerstand

Nachdem Vangelis das eintretende Publikum mit «One More Kiss, Dear» begrüsste, war die Manege frei für Mona Gamie. Die Travestiefigur, die vom Schaffhauser Tobias Urech verkörpert wird, positionierte sich hinter einem auf einem Divan versammelten Menschenknäuel und pries die betörende Wirkung des Orgasmus mit charismatischen Worten. «Meine Damen bis Herren, alles dazwischen und drumherum», hauchte sie ins Publikum. Sie habe alles erlebt und hätte es nicht mehr nötig, dem kleinen Tod zu erliegen. Dieser wurde von General Lucid Allen gespielt, im echten Leben als Alain Bader und Silbermedaillengewinner im Kugelstossen an den World Dwarf Games 2017 bekannt. Vorerst vergeblich versuchte er Mona Gamie Konter zu geben. Diese besang im Chanson von Mischa Spoliansky «Ich bin ein Vamp», wie sie die Männer an- und aussaugt, und brach nebenbei zugleich das Herz des in sie unglücklich verliebten Pianisten Monsieur Simon, als der General ihm Teka (Thomas Kaufmann) vorzog, um die Diva rumzukriegen, die diesem trotz den süssesten Wortspielen widerstand. Schliesslich übermannte der ekstatische Moment den Tastenvirtuosen während seines Spiels.

  • Elegant und stets mit neuem Kleid auf der Bühne: Mona Gamie in voller Prachtsgrösse. Bild: Ronny Bien
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  • Der kleine Tod himself, General Lucid Allen, gespielt von Alain Bader. Ihm erlagen bis zum Schluss alle Protagonisten. Bild: Ronny Bien
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  • Der australische Akrobat Patrick McMaster brachte von Frauen bis Männer alle in Wallung. Bild: Ronny Bien
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Stöhner im Publikum

Fieberähnliche Zustände erlebten die Frauen bis Männer beim ersten Auftritt des in Paris lebenden Akrobatikkünstlers Patrick McMaster. Ursprünglich aus Australien, studierte er bis vor Kurzem noch an der «Ecole Supérieure des Arts du Cirque» in Brüssel. Der in Liebeskummer getauchte Beau verrenkte daraufhin seinen Körper in unmögliche Positionen, derweil der sich unter den engen Tights sichtbar verborgene Kleintodbringer – Mona Gamie metaphorisierte das als «grossen Kontostand» – einige Hirnsynapsen filetieren liess. Als der empathisch mimische Akrobat schliesslich nur noch mit den Zähnen am Seil hing, erlag auch er dem süssen, kleinen Tod. Im Publikumsraum erlitt kurz darauf jemand dasselbige «Schicksal», dessen Aufstöhnen mit einem Lacher beantwortet wurde.

Der Lachflash

«Mit allen Wassern aus den sieben Weltmeeren gewaschen», wurde Minouche von Marabou angekündigt. Die weltweit herumgekommene Burlesquetänzerin schlängelte sich bis zu ihrem kleinen Tod aus ihren extravaganten Korsetts, sodass einige Hände leichte Befeuchtung verspürten. Apropos Hände: Wie Mona Gamie betonte, sollte ja das Publikum auch etwas vom Abend haben. «Heben Sie beide Hände, legen Sie die linke auf Ihr Knie und die rechte Hand in den Schoss des rechten Nachbarn», befahl sie.

So funktionierte also die Therapie gegen panische Angst vor Genitalien. Der Auftritt von Isabelle La Belle, von Franziska Hoby gespielt, wirkte hingegen etwas wie «coitus interruptus», dennoch überkam eine Dame aus dem Saal der ultimative Lachflash, als La Belle auf tollpatschige Art versuchte, sich ins Nixenkostüm zu zwingen. Womöglich an den Mythos von Teiresias angelehnt, gelangte die Clownin, inzwischen zu einem Mann verwandelt, zu ihrem Höhepunkt. Schliesslich liess sich Mona Gamie erschöpft auf dem Divan nieder, worauf sie von allen zusammen in den kleinen Tod geschickt wurde. Nach der Zigarette danach war auch klar, dass Schaffhausen Appetit für mehr Varieté und Cabaret bekommen hat.

  • Gruppenkuscheln mit Salon Morpheus, nachdem alle vom «petite mort» kosteten. Bild: Ronny Bien
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  • Die Zigarette danach und der Sekt davor. Und der Kuss mittendrin – das kann nicht alles sein? Für Mona Gamie war der kleine Tod nach anfänglichem Widerstreben eine wohltuende Erlösung. Bild: Ronny Bien
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Ronny Bien, Schaffhausen24