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Gesellschaft
12.12.2023

Von Kopf zu Kopf

Für die Haarspende wird das frisch gewaschene Haar direkt oberhalb des fest geschnürten Zopfansatzes abgeschnitten.
Für die Haarspende wird das frisch gewaschene Haar direkt oberhalb des fest geschnürten Zopfansatzes abgeschnitten. Bild: Lara Gansser, Schaffhausen24
Ob kurz, lockig oder knallig rot – Angelika Stauffer lässt jeden Zweithaartraum wahr werden. In ihrem Salon «Wunschhaar» in Beringen berät sie Personen, welche unter Haarverlust leiden. Der «Bock» folgte von ihrem Salon aus dem Weg einer Haarspende bis zur fertigen Perücke.

Sie vermitteln Gruppenzugehörigkeit, verleihen Selbstbewusstsein und sind Ausdruck der Persönlichkeit. Die Symbolkraft, welche Haare tragen, ist unbestreitbar. Nicht zuletzt sind sie auch ein Spiegel der eigenen Gesundheit. Gerade Krebsbehandlungen haben oftmals Haarausfall zur Folge. Die beispielsweise bei den Chemotherapien zur Anwendung kommenden Zytostatika haben das Ziel, sich schnell teilende Zellen im Körper abzutöten. Darunter fallen Krebs-, aber auch Haarwurzelzellen, was schlussendlich zum Verlust der Körperbehaarung führt.

Ein Gespür verschaffen 

Beringen frühmorgens. Angelika Stauffer empfängt mich in ihrem Geschäft. Gut gelaunt und mit top Frisur. Man merkt gleich: Diese Frau ist vom Fach. Ihre Ausbildung zur Coiffeuse sowie die anschliessende Meisterprüfung absolvierte sie ursprünglich in Deutschland. In den Kanton Schaffhausen zog es sie vor rund 20 Jahren. Eines ist ihr dabei gleich aufgefallen: Das Angebot an Coiffeursalons in der Region war zwar zur Genüge vorhanden, aber nicht in Bezug auf Zweithaarberatungen. Der ausschlaggebende Grund für Angelika Stauffer zur Gründung ihres eigenen Salons «Wunschhaar». Dort geht sie auf die speziellen Bedürfnisse von Personen ein, welche krankheitshalber, insbesondere aufgrund von Krebs, mit Haarverlust zu kämpfen haben. Der Weg zur passenden Perücke braucht seine Zeit. Nach einer Diagnose ist es dementsprechend ratsam, sich möglichst umgehend mit dem Thema auseinanderzusetzen. «Meistens besitzen meine Kund:innen beim Erstkontakt ihre Haare noch», erklärt Angelika Stauffer. Für die Coiffeuse ein wichtiges Indiz für das Finden des perfekten Zweithaars. So sieht sie, wie die Haare normalerweise gestylt und getragen werden. Zu Beginn einer Beratung möchte Angelika Stauffer jeweils ein Gespür für das Tragen einer Perücke vermitteln. Ihre Kund:innen erhalten sodann die Möglichkeit, verschiedene Modelle anzuprobieren, während die Expertin über die einzelnen Vorzüge der Stücke informiert. Eine wichtige zu klärende Frage dabei ist, ob die Wahl auf Kunst-, Echthaar oder eine Mischung aus beidem fällt. Grosses Volumen und Naturwellen lassen sich am besten mit Kunsthaar erzeugen. Zudem ist dieses pflegeleichter. «Ist eine glatt fallende Frisur gewünscht, rate ich wiederum zu Echthaar», meint die Coiffeuse. «Ausserdem ist dieses durch Hitze verformbar, was zu mehr Spielraum beim Styling führt.» Weitere essenzielle Komponenten bei der Auswahl bilden ausserdem die Verträglichkeit der Materialien sowie letztendlich der Preis. Sind die wichtigsten Parameter geklärt, macht sich Angelika Stauffer an das Bestellen eines ersten Rohlings.

Mindestens eine Haarlänge von 30 Zentimetern muss vorhanden sein, um für die Weiterverarbeitung zur Perücke infrage zu kommen. Bild: Lara Gansser, Schaffhausen24

Apropos Echthaar

Zwischenzeitlich darf ich auf Angelika Stauffers Friseurstuhl Platz nehmen. Mein frisch gewaschenes Haar wird von ihr geflochten und mit Haarbändern abgetrennt. Anschliessend nimmt sie ihre Schere und schneidet oberhalb des fest geschnürten Zopfansatzes ab. Fertig ist die Haarspende. Gut verpackt geht es dann für den Zopf per Post weiter in Richtung Kloten. Das Familienunternehmen Rolph AG hat sich seit 1965 der Herstellung, Verarbeitung und Veredelung von Zweithaar verschrieben. Pro Tag erreichen die Manufaktur mit Sitz in Kloten durchschnittlich fünf Couverts mit identischem Inhalt wie dem meinen. Die Rolph AG ist offizieller Partner aller Krebsligen der Schweiz in Sachen Haarspenden. «Nachdem ein Zopf bei uns eintrifft, erfassen wir diesen und informieren alle Spender:innen über den Empfang persönlich», schildert der Leiter des Kundenmanagements Rafael Hunziker. «Darauffolgend sortieren wir die einzelnen Spenden nach Haarstruktur, Länge und Farbe.» Nun beginnt der lange Warteprozess. Denn um mit der Produktion einer Perücke zu starten, muss genügend Haar vom gleichen Typ vorhanden sein. Um dies zu gewährleisten, sind durchschnittlich vier bis fünf Spenden notwendig. Bis zum Erreichen der benötigten Menge werden die einzelnen Zöpfe im Rolph-Atelier in Kloten gelagert. Danach, für die effektive Verarbeitung der Spenden zum Zweithaarstück, führt ihr Weg nach Indonesien, den Standort einer Partnerfirma der Rolph AG, die unter Schweizer Leitung operiert. «Die Annahme von gespendetem Haar für die Herstellung von Perücken ist für uns mit enormem Aufwand verbunden», so Rafael Hunziker. «Trotzdem möchten wir Personen in der Schweiz und Liechtenstein dabei unterstützen, welche sich für den guten Zweck die Haare abschneiden.» Er betont aber auch: «Ohne unsere verlässlichen Partner in Asien wäre dies für uns jedoch nicht umsetzbar.» Um für eine Spende in Betracht zu kommen, benötigt das Haar eine Mindestlänge von 30 Zentimetern und darf nicht chemisch behandelt worden sein. Daraus ergibt sich eine Perücke von circa 20 bis 25 Zentimetern. Die Rolph AG verpflichtet sich, Produkte, welche aus gespendetem Haar hergestellt sind, Kundinnen und Kunden zu reduzierten Preisen anzubieten.

Ihre Ausbildung zur Coiffeuse sowie die anschliessende Meisterprüfung absolvierte Angelika Stauffer in Deutschland. In Schaffhausen ist sie seit rund 20 Jahren wohnhaft. Bild: Lara Gansser, Schaffhausen24

Lokal, gut betreut

Zurück in Beringen: Sobald der bestellte Rohling circa eine Woche später bei Angelika Stauffer eintrifft, findet der zweite Beratungstermin statt. Grösse, Tragekomfort, Länge, Farbe der zukünftigen Perücke – alles wird gemeinsam mit der Kundschaft evaluiert. Daraus resultierende Anpassungen übernimmt Angelika Stauffer entweder direkt eigenhändig oder leitet sie dem entsprechenden Hersteller für die definitive Fertigstellung weiter. Das Zweithaar soll den Betroffenen Sicherheit geben. «Durch den Verlust des Haares wird die Krankheit gegen aussen sichtbar», erläutert die Coiffeuse. Das mache verletzlich. Mit einer guten Perücke könne man dem entgegenwirken. 

Speziell Krebsbehandlungen zehren an den Kräften. Umso essenzieller ist es für Angelika Stauffer, lokale sowie zeitnahe Beratungen bezüglich Haarersatzteilen zu ermöglichen. Das Ausweichen auf weiter entfernte Anbieter und damit einhergehende strapazierende lange Fahrtwege sollen dadurch verhindert werden. In besonderen Fällen führt die Coiffeuse auch Hausbesuche durch. In Kooperation mit der Krebsliga Schaffhausen bietet sie zudem seit 2013 regionale Schminkkurse sowie Seminare für den Umgang mit Turbanen an. Für die Zweithaarexpertin eine weitere bedeutende Herangehensweise an ihre Arbeit ist folgende: Empathie ist wichtig, Bestimmtheit ebenso. «Ich versuche meiner Kundschaft einfühlsam zu vermitteln: Da müssen wir jetzt durch», äussert sie. «Haarverlust soll die Aufmerksamkeit erhalten, die er verdient, aber auch nicht mehr.» Prio eins bleibe das Gesundwerden. «Die verlorenen Haare kommen nach Überstehen aller Behandlungen wieder. Darüber sollten sich die Kund:innen keine Sorgen machen.» Und sobald dies der Fall ist, berät Angelika Stauffer gerne über den ersten Schnitt der erneut eigenen Haarpracht. Das Schöne an ihrem Beruf ist, dass sie Personen nicht nur während ihrer Krankheitsphase, sondern oft auch nach ihrer Genesung betreuen darf.

Die Rolph AG nimmt Haarspenden aus der ganzen Schweiz für die Herstellung von Perücken entgegen. Täglich erreichen die Manufaktur in Kloten durchschnittlich fünf Kuverts mit unterschiedlichstem Spendenhaar. Bild: zVg.
Adina Martinelli, Schaffhausen24