«Bock»: Zuerst eine Ausbildung zum Primarschullehrer und dann der Wechsel zur Schauspielausbildung am Konservatorium für Musik und Theater in Bern. Wodurch kam dieser Wandel?
Stefan Kurt: Als Wandel würde ich das nicht bezeichnen, denn ich träumte schon immer von einer Schauspielkarriere. Für die Schauspielschule war ich aber zu jung und sie nahmen eher Interessierte auf, die schon eine Ausbildung absolviert hatten. Da ich gerne mit Kindern arbeite, stellte sich für mich eine Lehrerausbildung als sinnvolle Alternative für ein gutes Fundament heraus. Ausserdem freute es meine Eltern, dass ich zuerst etwas «Anständiges» lernte.
Nach Ihrer Ausbildung waren Sie Ensemble-Mitglied des Hamburger Thalia-Theaters, wo Sie einige Theaterstücke spielten. Wieso wechselten Sie zum Schauspiel vor der Kamera?
Kurt: Die neun Jahre als Ensemblemitglied am Thalia-Theater in Hamburg gehören für mich zur schönsten und prägendsten Zeit am Theater. Trotzdem fühlte ich mich nach all diesen Jahren eingesperrt und der Wunsch erwachte in mir, die grosse Filmwelt zu entdecken. Ich wollte ausprobieren, ob ich dafür überhaupt das Talent besitze.
Im Film «Der Schattenmann» übernahmen Sie das erste Mal eine Hauptrolle. Wie war diese Erfahrung für Sie?
Kurt: Ich habe in dieser Zeit Blut und Wasser geschwitzt. Den Hauptdarsteller zu spielen in diesem prestigeträchtigen Mehrteiler stellte für mich eine grosse Herausforderung dar. Es mangelte mir an Erfahrung im Filmbusiness. Dazu noch all diese berühmten Schauspielkollegen rund um mich herum. Aber für die Vorbereitung nahm ich mir viel Zeit und lernte somit einiges während meiner ersten Produktion in der Hauptrolle.
Durch die Hauptrolle im Film «Der Schattenmann» entwickelten Sie sich über Nacht zum Star. Wie gingen Sie mit der plötzlichen Bekanntheit um?
Kurt: Filmangebote, Interviews, Fotoshootings und Talkshows standen plötzlich an. Zu allen möglichen Events erhielt ich Einladungen. Ich fühlte mich überrumpelt, denn alles war neu und schreckte mich erstmal ab. Man muss erst einmal lernen richtig damit umzugehen. Ausserdem würde ich behaupten, dass ich nicht das Wesen des typischen Schauspielers besitze.
Können Sie das genauer ausführen?
Kurt: Ich halte mich in der Öffentlichkeit auch gerne bedeckt und bin auch nicht der Typ, der immer auffallen möchte. Trotzdem hat das Berühmtsein auch Vorteile, vor allem wenn man dadurch mit anderen Prominenten im Film oder Theater zusammenarbeiten darf, die mich faszinieren. Auch wenn die Passanten auf der Strasse auf mich zukommen und mir ein Kompliment geben, freut mich das natürlich.
Als Schauspieler muss man immer wieder andere Charaktere übernehmen. Schlüpfen Sie lieber in die des Bösen oder die des Guten?
Kurt: Welche Person besitzt schon nur Gutes oder Böses? Mein Interesse wecken Figuren, welche beide Seiten in sich tragen. Das bedeutet die vielschichtigen Charaktere, die ein Geheimnis in sich tragen und nicht so schnell zu durchschauen sind.
Welche Rolle war für Sie ein Highlight Ihrer Schauspielkarriere?
Kurt: Eine schwierige Frage, denn ich durfte sehr viele Personen verkörpern, die mir ans Herz wuchsen. Als Highlight meiner Karriere sehe ich aber auf jeden Fall die Begegnung und Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Theatermann Robert Wilson. Das war ein Glücksfall für mich. Er beeinflusste mich und vor allem meine Arbeit am Theater. Ohne ihn wäre ich nicht dort, wo ich heute bin.
Welche Rolle wollten Sie mal übernehmen?
Kurt: Einen Dirigenten spielen und vor einem Orchester stehen. So eine Figur zu übernehmen, steht für mich zuoberst auf meiner Wunschliste und so wie es der Zufall und das Schicksal wollen: Diesen Oktober stelle ich in der Krimireihe «Theresa Woll» einen Dirigenten dar und leite die Jenaer Philharmoniker. Schon als kleiner «Gieu» träumte ich davon, deshalb geht nun ein Kindheitstraum in Erfüllung.
Wie viel Stefan Kurt steckt in einem solchen Filmcharakter? Können Sie Ihre privaten Eigenschaften vollkommen von Ihrer gespielten Figur abgrenzen?
Kurt: Das Grossartige an meinem Beruf ist, dass ich meine Lebenserfahrung und mein ganzes Wesen in die Figur einbringen kann. Je nach Charakter steckt mehr oder weniger Stefan Kurt darin. Meine persönlichen Eigenschaften ganz auszublenden, funktioniert aber nie.
Auch hinter der Kamera arbeiten Sie als Synchronsprecher. War dies eine grosse Herausforderung für Sie und auf was gilt es dabei besonders zu beachten?
Kurt: Eine Mischung aus Bedenken und grosser Freude überkam mich. Gerade wenn man die Ehre bekommt, die von Figur Tim Roth gespielte Figur im Quentin Tarantino-Film «The Hateful Eight» zu sprechen. Die Schwierigkeit beim Synchronisieren sehe ich darin, die Lippenbewegungen des Originalschauspielers sowie die Emotionalität so genau wie möglich zu übernehmen. Einerseits beinhaltet dies viel Technik und andererseits fordert es die künstlerische Seite.
Neben dem Schauspiel begeistern Sie sich auch für die Kunst. Am Rheinfall-Festival stellen Sie 40 Ihrer eindrucksvollsten Werke aus. Das unter dem Thema Natur und Poesie. Was wollen Sie mit Ihrer Kunst ausdrücken?
Kurt: Die Kunst lockt meine Neugierde hervor. Mein Interesse liegt beim Menschen: Was er denkt, was er fühlt, was ihm wichtig ist, was er träumt. Diese Aspekte zeigt mir die Kunst. Für meine eigenen Werke beobachte ich die Welt um mich herum. Dabei fange ich die Farben, Formen und Strukturen ein. Die Ergebnisse meiner Observation ergeben meine Bilder und im besten Fall Poesie.
Wie kamen Sie zur Teilnahme am Rheinfall-Festival?
Kurt: Vor etwa einem Jahr fragte mich Beat Toniolo für eine musikalische Lesung am Rheinfall-Festival an. Dabei stehen Literatur, Musik und Licht im Vordergrund. Diese Elemente stehen gleichberechtigt nebeneinander und interagieren mit-, gegen- und füreinander. Ein äusserst spannender Vorgang, auf den ich selbst sehr gespannt bin. Diese Inszenierung führe ich zusammen mit Esther Gemsch, einer alten Schauspielkollegin und Kindheitsfreundin, durch. Durch Zufall sah Beat Toniolo meine Kunst auf meiner Webseite. Er konnte seine Begeisterung nicht zurückhalten und schlug mir vor, zusätzlich auch noch eine Ausstellung mit meinen fotografischen Arbeiten zu organisieren.
Was für Projekte im Schauspiel stehen in näherer Zukunft noch an?
Kurt: Regisseur Stefan Haupt dreht «Stiller» von Max Frisch als Kinofilm. Dabei stehe ich im November in der Schweiz als Dr. Bohnenblust vor der Kamera. Ein wunderbares Projekt, worauf ich mich sehr freue. Danach kehre ich wieder einmal zurück zum Theater und spiele in Hamburg am St. Pauli Theater im Januar 2024 den Clov in der Produktion «Endspiel». Anschliessend wird im April «La Cage aux Folles» im Schillertheater in Berlin mit mir als Zaza wieder aufgenommen und gespielt.