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Gesellschaft
19.09.2023
18.09.2023 23:51 Uhr

«Do it – now» lautet seine Maxime

«Wenn ich ‹Ja› sage, gehe ich die Sache mit vollem Einsatz und so an, dass es mir auch Spass macht. Was weniger Spass macht, versuche ich zügig zu erledigen. So überwiegt längerfristig die Freude an meinen Aktivitäten», so Giorgio Behr über sein Geheimnis zum Erfolg.
«Wenn ich ‹Ja› sage, gehe ich die Sache mit vollem Einsatz und so an, dass es mir auch Spass macht. Was weniger Spass macht, versuche ich zügig zu erledigen. So überwiegt längerfristig die Freude an meinen Aktivitäten», so Giorgio Behr über sein Geheimnis zum Erfolg. Bild: Lara Gansser, Schaffhausen24
75 Jahre Giorgio Behr – unser Verleger feierte gestern seinen 75. Geburtstag. Anlässlich dieses Ehrentags blicken wir im grossen Interview auf die unzähligen Projekte und Verdienste zurück, welche sein Palmarès schmücken. Handballmäzen, Unternehmer, Professor und Rechnungslegungs-Papst sind nur einige der Schlagworte, welche den erfolgreichen Werdegang des Schaffhausers zusammenfassen.

«Bock»: Gestern durftest du deinen 75. Geburtstag feiern. Wie hast du den Tag verbracht? 

Giorgio Behr: Mit meiner Gattin in Firenze – am Abend dann bei einem schönen Nachtessen. 

Ein Blick auf deine beruflichen Aus- und Weiterbildungsschritte (siehe Kasten) zeigt: Dein Palmarès ist beeindruckend. Würdest du den gleichen Weg noch einmal gehen? 

Behr: Geplant war dies alles nicht – wer weiss, wie es weiter gegangen wäre, hätte ich mich hie und da anders orientiert, anders entschieden? Mit Familie, Unternehmen und Hobbies hatte und habe ich es gut. Also war der Weg im Grossen und Ganzen wohl richtig gewählt.

Wie kannst du dich nach so vielen Jahren weiterhin motivieren, dich für so viele Anliegen zu engagieren? Was ist dein Geheimnis? 

Behr: Ich habe gelernt, auch mal «Nein» zu sagen. Wo ich «Ja» sage, gehe ich die Sache mit vollem Einsatz und so an, dass es mir auch Spass macht. Was weniger Spass macht, versuche ich zügig zu erledigen. So überwiegt längerfristig die Freude an meinen Aktivitäten.

Wie hast du es stets geschafft, einen Überblick über deine zahlreichen Ämter und Mandate zu bewahren? 

Behr: Einerseits versuche ich die Maxime «do it – now!» einzuhalten – so befreit man den Kopf von viel «Unerledigtem». Andererseits bin ich Teamplayer, lasse meinen Leuten Raum für Eigenständigkeit und auch im Auftritt gegen aussen. Da ich zudem bestrebt bin, Sachen «auf den Punkt zu bringen», statt lang darum herumzureden, wird vieles einfacher und ich kann Ballast abwerfen.

Das Geld wurde dir nicht in die Wiege gelegt. Egal, wo du dich engagiert hast – du hast es bis nach oben geschafft. Inwiefern hat dich deine Kindheit in dieser Hinsicht geprägt? 

Behr: Meine Mutter war sehr intelligent, mein Vater zudem handwerklich sehr geschickt, beide autodidaktisch mehrsprachig. Wie es damals war, stand ihnen der Weg zu einem Studium oder einer Fachhochschule nicht offen. Zwei Brüder meiner Mutter schafften es jedoch aus noch einfacheren Verhältnissen zum erfolgreichen Unternehmer bzw. Firmenchef. Also wusste ich, dass es geht, wenn man will.

Welche deiner Weggefährten haben dich besonders geprägt und warum?

Behr: Es gab «väterliche Freunde», also erfahrene Persönlichkeiten, die viel älter waren als ich (und alle schon gestorben sind) in der Unternehmenswelt, der Hochschule und im Sport – sowie eigentliche Weggefährten. Sie alle aufzuzählen, wäre schwierig und würde viel Platz beanspruchen. Je nach Lebensphase und Tätigkeitsbereich waren und sind es sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, mit denen die Zusammenarbeit unterschiedlich lang oder intensiv war. Mit vielen verbindet mich noch heute eine gute Freundschaft.

Da sich kein Käufer finden liess, übernahmst du 1990 mit dem Beringer Apparatebauer Bircher dein erstes Unternehmen. Heute beschäftigt die Behr Bircher Cellpack BBC AG (BBC Group) rund 1300 Mitarbeitende. Was hat dich damals zu der Kaufentscheidung bewegt? 

Behr: Nachdem ich mehrfach für andere Unternehmen restrukturiert oder in neue Hände übergeben hatte, habe ich gemeinsam mit dem Management beschlossen, die Schliessung und den Verlust von rund 200 Arbeitsplätzen zu verhindern. Der Standort war in der Nähe, das Unterfangen «überschaubar».

Wenn man dich googelt, stösst man auf den Begriff «Rechnungslegungs-Papst». Du hast die Schweiz über Jahre hinweg vertreten, wenn es um Rechnungslegungs-Standards ging. Zudem warst du im Auftrag des Bundesrats an der Erarbeitung des Revisionsrechts beteiligt. Was bedeutet das genau und wie kam es zu diesen Aufträgen? 

Behr: Als Wirtschaftsprüfer und Anwalt (meines Wissens gab es zu meiner Zeit nur noch jemanden in Genf mit beiden Diplomen – er war Universitätsprofessor) hatte ich gute Voraussetzungen, um mich in die Thematik der Berichterstattung von Firmen, wo es um Zahlen geht, aber auch um das Einhalten gesetzlicher Vorgaben, zu vertiefen. Die Zeit an der University of Washington in Seattle und die Mitarbeit in Fachkommissionen motivierten mich zu Fachpublikationen. Bald folgten Mandate des Bundesrates zur Vertretung der Schweiz im Bereich der finanziellen Berichterstattung in den Gremien von UNO und OECD. Dort wurde ich sogar zum Vizepräsidenten des Gremiums gewählt – die Vertreter der EU-Länder wollten einen Belgier als Präsidenten, baten aber mich, die Geschäfte und Sitzungen zu leiten. Und so kam es zur Berufung auf den Lehrstuhl für BWL, insbesondere für Rechnungslegung, Controlling etc. an der Universität St. Gallen. Ich war von Anbeginn (1984) bis vor kurzem in führender Rolle bei der Fachkommission Swiss GAAP FER dabei, welche die Rechnungslegung in der Schweiz prägt (u.a. Georg Fischer Konzern und Swatch Group haben dieses Konzept gewählt). Schliesslich durfte ich auch den Entwurf für das Recht zur Revision von Organisationen und die Rechnungslegung im Obligationenrecht erarbeiten. Irgendwie scheine ich nicht ganz ohne Einfluss auf die Entwicklung der Rechnungslegung in der Schweiz (gewesen) zu sein.

Du bist also quasi der Wirtschaftsexperte in Person. Hast du tatsächlich noch nie unüberlegte Investitionen getätigt? 

Behr: Unüberlegte eher nicht, dafür immer wieder mal nicht erfolgreiche!

Es ist aber nicht nur die Wirtschaft, die dich bewegt. Der Sport hatte schon immer eine grosse Bedeutung im Leben von Giorgio Behr. Warum genau Handball?

Behr: Fussball spielte ich zwar gerne, aber da waren andere viel talentierter. Eishockey-Torwart wäre ich gerne geworden, aber Geld für die Ausrüstung war nicht vorhanden. Über Korbball – im Winter als Ersatz für Handball in der Halle gespielt – mit der Kantonsschul-Verbindung Munot kam ich mit dem Aufkommen des Kleinfeldhandballs zu dem Sport, allerdings erst mit 18 Jahren. Zuerst mit St. Peter und KJS, dann – weil ich infolge Überschneidens eines Seminars mit Trainingspräsenz bei KJS nur einmal trainieren konnte – wechselte ich zu den Kadetten. Mit 22 Jahren packte ich die Chance bei Gelbschwarz und lernte dort vieles, das mir später auch als Spielertrainer, Trainer und Coach bei den Kadetten geholfen hat.

Als Spieler bei Gelb-Schwarz Schaffhausen hast du in der Nationalliga A gespielt. Bekannt warst du als Flügelspieler für deine spektakulären Fallwürfe. Wie hat sich der Handballsport in der Schweiz entwickelt? 

Behr: Der Sport ist athletischer und schneller geworden, die Spieler auf der Flügelposition sind technisch vielseitiger. Doch wichtige Sachen, im Abwehrverhalten, im Antizipieren oder bei Freiwürfen, wurden damals möglicherweise besser geschult. 

Als Trainer führte Giorgio Behr (rechts) die Kadetten Schaffhausen bis in die Nationalliga B (1988). (Archivbild) Bild: zVg.

1992 hast du das Präsidium der Kadetten, die finanziell schwierige Zeiten hatten, übernommen, bald darauf für 2,3 Mio. Franken eine neue Halle gebaut, später selbst rund 20 Millionen in die BBC-Arena gesteckt und kurz nach deren Eröffnung 2012 die Suisse Handball Academy, vor kurzem auch die Suisse Goalkeeper Academy gegründet. Was war die Triebfeder für diese grossen Würfe? 

Behr: Eigentlich hätte ein erfolgreicher Manager 1992 das Präsidium übernehmen sollen – doch kurz vor der finalen Zusage wurde ihm ein wichtiges Mandat in der Schaffhauser Wirtschaft angeboten. So entschied ich mich, gestützt auf Zusagen des damals aktiven Kadetten-Marketing-Teams und einiger früher Mitspieler nach einer bis in den frühen Morgen dauernden Krisensitzung, das Amt für drei bis fünf Jahre zu übernehmen. Der Start gelang – die Infrastruktur aber fehlte, sowohl für den Nachwuchs als auch den Leistungssport. Erneut war es ein kleines Team – sie alle sind in der BBC-Arena auf einer Ehrentafel aufgeführt – das mithalf, das einfache, aber geniale Konzept der Architekten Aries und Bührer umzusetzen, v.a. zu finanzieren. Unser Projekt wurde in der Schweiz mehrfach kopiert. «L`appetito vien mangiando» – Erfolge auf allen Stufen, auch des mit uns gut zusammenarbeitenden VC Kanti, machten Lust auf mehr. Mit dem – ebenfalls in der BBC-Arena fotografisch gewürdigten – neuen Team wagten wir uns ans Projekt Arena und Campus. Bezüglich Nachwuchsförderung konnte ich zudem auf meine eigene Diplomarbeit vom Handball-Instruktor-Kurs in Magglingen (in den 70er Jahren) zurückgreifen und diese umsetzen. 

Warum ist Handball besser als Fussball? 

Behr: Es geht nicht um besser oder schlechter – wie bei der Kunst ist vieles in der Beurteilung subjektiv. Ich kann für den Handball argumentieren: Handball ist attraktiv, dynamisch und betont athletisch – gleichzeitig gibt es eine Vielzahl von Wurfarten, je nach Position sehr unterschiedlich. Handball ist sehr telegen. In der BBC-Arena ist man «nah dran» – und doch ist es bei aller Rivalität und auch wenn es um viel geht, letztlich fair und das Ambiente sportlich. Ob jung, ob alt, ob Frau oder Mann, ob früher Fussballer oder Eishockeyaner oder Volleyballerin – alle kommen gerne. Und für Schaffhausen speziell – die Kadetten sind national und auch international sehr erfolgreich. 

Anders als Gleichaltrige gehst du der Digitalisierung nicht aus dem Weg – im Gegenteil: Auch du greifst auf innovative Technik zurück. Wie siehst du die Entwicklung darin? 

Behr: Vieles sehe ich als Erleichterung für die Arbeit – so diktiere ich seit vielen Jahren oft Texte direkt in den Computer. KI kann jene, die schon gut sind, noch effizienter machen. Andererseits scheinen gewisse Angebote im Social-Media-Bereich bei jenen, die nicht lernen Mass zu halten, die Verblödung zu begünstigen.

Wem würdest du ohne Hinterfragen eine Million Franken zur Verfügung stellen? 

Behr: Projekte, mit denen direkt – ohne Umweg über Organisationen und Sozialverwaltung –vor Ort geholfen wird, verdienen meine Unterstützung. Smiling Gecko, vom Schweizer Hannes Schmid in Kambodscha als «eigenständige Dorfgemeinschaft» aufgebaut sowie Projekte mit Mikro-Krediten an Klein- und Kleinstunternehmen wären Kandidaten.

Man liest immer wieder, dass es ruhiger werde um Giorgio Behr. Unter anderem hast du das IVS-Präsidium nach 17 Jahren abgegeben. Trifft es zu, dass du dich immer mehr zurückziehst? 

Behr: Der Rücktritt bei der IVS zog den Rücktritt aus den beiden Führungsgremien der Zürcher Handelskammer mit sich. Bei der Museumsbahn habe ich den Vorsitz im deutschen Förderverein, bei der Swiss GAAP FER nach 40 Jahren das Präsidium der Stiftung übergeben; im nächsten März reiche ich den Stab bei der Museumsbahn Stiftung weiter. Bei all diesen Aufgaben darf ich mit Genugtuung feststellen, dass die Nachfolgelösung gut gelungen ist. Bei der BBC Group ist dies leider vor einigen Jahren schief gelaufen, doch wir sind in der Dezentralisierung der Führung und der Aufteilung der Aufgaben nun recht weit – das so umgesetzte Konzept eines Family Offices für alle unsere Beteiligungen, auch den von unseren Söhnen aufgebauten Unternehmen, greift und entlastet mich zusätzlich. Eine neue Aufgabe gibt’s allerdings: In Carasso, der Heimat meiner Mutter, planen Freunde und ich mit der gemeinnützigen «Stiftung Prò Martin» den Neubau einer Garaventa-Luftseilbahn zur Erschliessung der nur zu Fuss erreichbaren Rustici sowie des Alpe della Monda.

Wie sieht aktuell ein perfekter Tag im Leben von Giorgio Behr aus? 

Behr: Heute startet es mit Frühstück vorbereiten, Zeitung lesen, Akkordeon üben, oft Fitness-Training und ab dann ist vieles möglich. 

März 2023: Giorgio Behr erhielt bei seinem Rücktritt als Präsident der Industrie- & Wirtschafts-Vereinigung Schaffhausen die Auszeichnung zum ersten Standortbotschafter. Bild: Lara Gansser, Schaffhausen24

Über Giorgio Behr

Geboren: 18. Sept. 1948, Schaffhausen

Familie: Ehefrau Anne-Marie Behr-Deflandre, vier Söhne, vier Enkelkinder

Beruflicher Werdegang: Matura (SH), 1967 Studium in Rechtswissenschaften an der Universität Zürich, Promotion, Rechtsanwaltspatent, Abschluss zum Dipl. Wirtschaftsprüfer, 1990-2005 Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, anschl. Honorarprofessor und Präsident des Instituts ACA für Rechnungswesen, Controlling und Wirtschaftsprüfung bis 2018. 1971 Handelsschullehrer, ab 1972 Fides (heutige KPMG), 1982 Hesta Gruppe, ab 1984 selbständig (ab 1985 mit dem Unternehmen Behr Deflandre & Snozzi BDS), Verwaltungsrat Hilti AG & Martin Hilti Trust, VR-Präsident Saurer Group und Vorsitzender des Aufsichtsrats der ZF AG.

Mehr erfahren: Im Buch von Christina und Christian Boss. «Der Lebensvorhang geht auf» (Reinhardt Friedrich Verlag, 2023) ist Giorgio Behr neben Matthias Ackeret einer der beiden porträtierten Schaffhauser.

Lara Gansser, Schaffhausen24