«Bock»: Gestern durftest du deinen 75. Geburtstag feiern. Wie hast du den Tag verbracht?
Giorgio Behr: Mit meiner Gattin in Firenze – am Abend dann bei einem schönen Nachtessen.
Ein Blick auf deine beruflichen Aus- und Weiterbildungsschritte (siehe Kasten) zeigt: Dein Palmarès ist beeindruckend. Würdest du den gleichen Weg noch einmal gehen?
Behr: Geplant war dies alles nicht – wer weiss, wie es weiter gegangen wäre, hätte ich mich hie und da anders orientiert, anders entschieden? Mit Familie, Unternehmen und Hobbies hatte und habe ich es gut. Also war der Weg im Grossen und Ganzen wohl richtig gewählt.
Wie kannst du dich nach so vielen Jahren weiterhin motivieren, dich für so viele Anliegen zu engagieren? Was ist dein Geheimnis?
Behr: Ich habe gelernt, auch mal «Nein» zu sagen. Wo ich «Ja» sage, gehe ich die Sache mit vollem Einsatz und so an, dass es mir auch Spass macht. Was weniger Spass macht, versuche ich zügig zu erledigen. So überwiegt längerfristig die Freude an meinen Aktivitäten.
Wie hast du es stets geschafft, einen Überblick über deine zahlreichen Ämter und Mandate zu bewahren?
Behr: Einerseits versuche ich die Maxime «do it – now!» einzuhalten – so befreit man den Kopf von viel «Unerledigtem». Andererseits bin ich Teamplayer, lasse meinen Leuten Raum für Eigenständigkeit und auch im Auftritt gegen aussen. Da ich zudem bestrebt bin, Sachen «auf den Punkt zu bringen», statt lang darum herumzureden, wird vieles einfacher und ich kann Ballast abwerfen.
Das Geld wurde dir nicht in die Wiege gelegt. Egal, wo du dich engagiert hast – du hast es bis nach oben geschafft. Inwiefern hat dich deine Kindheit in dieser Hinsicht geprägt?
Behr: Meine Mutter war sehr intelligent, mein Vater zudem handwerklich sehr geschickt, beide autodidaktisch mehrsprachig. Wie es damals war, stand ihnen der Weg zu einem Studium oder einer Fachhochschule nicht offen. Zwei Brüder meiner Mutter schafften es jedoch aus noch einfacheren Verhältnissen zum erfolgreichen Unternehmer bzw. Firmenchef. Also wusste ich, dass es geht, wenn man will.
Welche deiner Weggefährten haben dich besonders geprägt und warum?
Behr: Es gab «väterliche Freunde», also erfahrene Persönlichkeiten, die viel älter waren als ich (und alle schon gestorben sind) in der Unternehmenswelt, der Hochschule und im Sport – sowie eigentliche Weggefährten. Sie alle aufzuzählen, wäre schwierig und würde viel Platz beanspruchen. Je nach Lebensphase und Tätigkeitsbereich waren und sind es sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, mit denen die Zusammenarbeit unterschiedlich lang oder intensiv war. Mit vielen verbindet mich noch heute eine gute Freundschaft.
Da sich kein Käufer finden liess, übernahmst du 1990 mit dem Beringer Apparatebauer Bircher dein erstes Unternehmen. Heute beschäftigt die Behr Bircher Cellpack BBC AG (BBC Group) rund 1300 Mitarbeitende. Was hat dich damals zu der Kaufentscheidung bewegt?
Behr: Nachdem ich mehrfach für andere Unternehmen restrukturiert oder in neue Hände übergeben hatte, habe ich gemeinsam mit dem Management beschlossen, die Schliessung und den Verlust von rund 200 Arbeitsplätzen zu verhindern. Der Standort war in der Nähe, das Unterfangen «überschaubar».
Wenn man dich googelt, stösst man auf den Begriff «Rechnungslegungs-Papst». Du hast die Schweiz über Jahre hinweg vertreten, wenn es um Rechnungslegungs-Standards ging. Zudem warst du im Auftrag des Bundesrats an der Erarbeitung des Revisionsrechts beteiligt. Was bedeutet das genau und wie kam es zu diesen Aufträgen?
Behr: Als Wirtschaftsprüfer und Anwalt (meines Wissens gab es zu meiner Zeit nur noch jemanden in Genf mit beiden Diplomen – er war Universitätsprofessor) hatte ich gute Voraussetzungen, um mich in die Thematik der Berichterstattung von Firmen, wo es um Zahlen geht, aber auch um das Einhalten gesetzlicher Vorgaben, zu vertiefen. Die Zeit an der University of Washington in Seattle und die Mitarbeit in Fachkommissionen motivierten mich zu Fachpublikationen. Bald folgten Mandate des Bundesrates zur Vertretung der Schweiz im Bereich der finanziellen Berichterstattung in den Gremien von UNO und OECD. Dort wurde ich sogar zum Vizepräsidenten des Gremiums gewählt – die Vertreter der EU-Länder wollten einen Belgier als Präsidenten, baten aber mich, die Geschäfte und Sitzungen zu leiten. Und so kam es zur Berufung auf den Lehrstuhl für BWL, insbesondere für Rechnungslegung, Controlling etc. an der Universität St. Gallen. Ich war von Anbeginn (1984) bis vor kurzem in führender Rolle bei der Fachkommission Swiss GAAP FER dabei, welche die Rechnungslegung in der Schweiz prägt (u.a. Georg Fischer Konzern und Swatch Group haben dieses Konzept gewählt). Schliesslich durfte ich auch den Entwurf für das Recht zur Revision von Organisationen und die Rechnungslegung im Obligationenrecht erarbeiten. Irgendwie scheine ich nicht ganz ohne Einfluss auf die Entwicklung der Rechnungslegung in der Schweiz (gewesen) zu sein.
Du bist also quasi der Wirtschaftsexperte in Person. Hast du tatsächlich noch nie unüberlegte Investitionen getätigt?
Behr: Unüberlegte eher nicht, dafür immer wieder mal nicht erfolgreiche!
Es ist aber nicht nur die Wirtschaft, die dich bewegt. Der Sport hatte schon immer eine grosse Bedeutung im Leben von Giorgio Behr. Warum genau Handball?
Behr: Fussball spielte ich zwar gerne, aber da waren andere viel talentierter. Eishockey-Torwart wäre ich gerne geworden, aber Geld für die Ausrüstung war nicht vorhanden. Über Korbball – im Winter als Ersatz für Handball in der Halle gespielt – mit der Kantonsschul-Verbindung Munot kam ich mit dem Aufkommen des Kleinfeldhandballs zu dem Sport, allerdings erst mit 18 Jahren. Zuerst mit St. Peter und KJS, dann – weil ich infolge Überschneidens eines Seminars mit Trainingspräsenz bei KJS nur einmal trainieren konnte – wechselte ich zu den Kadetten. Mit 22 Jahren packte ich die Chance bei Gelbschwarz und lernte dort vieles, das mir später auch als Spielertrainer, Trainer und Coach bei den Kadetten geholfen hat.
Als Spieler bei Gelb-Schwarz Schaffhausen hast du in der Nationalliga A gespielt. Bekannt warst du als Flügelspieler für deine spektakulären Fallwürfe. Wie hat sich der Handballsport in der Schweiz entwickelt?
Behr: Der Sport ist athletischer und schneller geworden, die Spieler auf der Flügelposition sind technisch vielseitiger. Doch wichtige Sachen, im Abwehrverhalten, im Antizipieren oder bei Freiwürfen, wurden damals möglicherweise besser geschult.