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Kultur
29.08.2023

Ein Prinz am Rheinfall

Der Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel tritt als Musiker und Autor am diesjährigen Rheinfall-Festival in Neuhausen auf.
Der Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel tritt als Musiker und Autor am diesjährigen Rheinfall-Festival in Neuhausen auf. Bild: zVg.
Für das «Stars in Town» ist er einen Monat zu spät. Dafür bereichert er als Musiker und Autor das Rheinfall-Festival. Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel im exklusiven Gespräch mit dem «Bock». Er erzählt über die Schwierigkeiten und Erfolge der Band und seiner anschliessenden Solo-Karriere.

«Bock»: Dadurch, dass Sie in eine musikalische Familie hineingeboren wurden, kamen Sie mit der Musik früh in Berührung.

Sebastian Krumbiegel: Unser Haus war voller Musik. Mein Bruder lernte Violine, meine Schwester Flöte und ich Cello. Meine Mutter spielte Klavier und wir sangen alle regelmässig dazu. Es war sozusagen die klassische «bildungsbürgerliche Familie» mit Hausmusik und allem, was dazu gehört, was dann dazu führte, dass mein Bruder und ich ab der 4. Klasse anfingen, im Thomanerchor zu singen.

Sie gründeten 1981 Ihre erste Rockband «Phoenix». Später schlossen Sie sich der Band «Rockpol» an. Wie schwierig waren die Anfänge damals in der DDR?

Krumbiegel: Es war nicht kompliziert, eine Band zu gründen – ganz im Gegenteil. Es gab Strukturen mit Jugendclubs. In Leipzig gab es sogar eine «IG Rock». Wenn ich die 1980er Jahre aus meiner Sicht beschreiben will, dann ist das natürlich erstens sehr subjektiv und zweitens muss ich immer ein bisschen aufpassen, dass ich mir auf der einen Seite die Sachen nicht schönrede. Auf der anderen aber eben auch, dass ich nicht in den Chor einstimme, der immer wieder sagt: Alles in der DDR war trist und grau und gruselig. Es geht mir garantiert nicht darum, die DDR als Willkürstaat in ein gutes Licht zu rücken, aber ich kann wirklich ehrlichen Herzens sagen, dass ich eine schöne und erfüllte Kindheit hatte. Man hat sich eingerichtet und sich seine Nischen gesucht – eben unter anderem die Musik, und die ist sowieso die schönste Erfindung auf der ganzen Welt…

Verhalf der Fall der Mauer auch der weiteren Karriere?

Krumbiegel: Natürlich! Ganz abgesehen davon, dass wir – gerade wir in Leipzig - das gute Gefühl hatten, mit den Montags-Demonstrationen ein System gestürzt zu haben, hatten wir von heute auf morgen plötzlich ganz andere Möglichkeiten. Es war allerdings auch so, dass das erste Jahr sehr hart war, was die musikalische Karriere anbetrifft. Erstmal hat sich kein Ossi mehr für die Musik vor seiner Haustür interessiert. Es gab so viel zu entdecken, und auf einmal spielten eben Udo Lindenberg oder Rio Reiser im Osten. Da waren die einheimischen Bands erstmal abgeschrieben, und einige sind damals daran zerbrochen. Wir hatten damals jede Menge Glück. Wir waren zwar auch wirklich extrem umtriebig, hatten jedem, ob er wollte oder nicht, unsere Demo-Kassette mit unseren Songs aufgedrängt und dadurch Leute getroffen, die uns sehr halfen. Vor allem Annette Humpe war da ein wichtiger Mensch. 

Vom Rocker zum A-Capella-Pop – wie kam dieser Wandel?

Krumbiegel: Unser damaliger Manager Achim Zetzmann riet uns, auf die Instrumente zu verzichten. Er sagte damals, dass es viele Rockbands gebe und dass unser A-Cappella-Gesang ein Alleinstellungsmerkmal darstelle. So gerieten wir in den Fokus von Westberliner Verlegern und Musikindustrie-Leuten, allen voran George Glueck, Peter Meisel und Hans Blume. George war unter anderem der Manager von Annette Humpe, und so kam dann eines zum anderen.

«Die Prinzen» wurden schnell erfolgreich und gehören nun zu den populärsten Bands Deutschlands. Was war aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für den Erfolg?

Krumbiegel: (grinst) Ich glaube, das lag ausschliesslich an unserer überdurchschnittlichen Schönheit, unserer überbordenden Intelligenz und daran, dass wir so gut gerochen haben!

1996 erhielt das Album «Alles mit’m Mund» nicht mehr dieselbe Aufmerksamkeit wie die vier Alben zuvor. Woran lag das?

Krumbiegel: Das ist immer sehr schwierig zu analysieren. Aber ich denke schon, dass die Beendigung der Zusammenarbeit mit Annette Humpe eine grosse Rolle spielte. Sie hatte das Gefühl, dass nach vier gemeinsamen sehr erfolgreichen Alben die Geschichte erzählt war, und wollte etwas Neues machen. Irgendwann musst du mal die Erfahrung machen, dass du nicht permanent ganz oben mitspielen kannst, und das ist auch ganz heilsam fürs Ego. Wir sind aber nach mittlerweile weit mehr als 30 Jahren immer noch dabei und sind gerade auf einer sehr erfolgreichen Tour. Wir spielen übrigens am 10. November im Volkshaus in Zürich, welches so gut wie ausverkauft ist.

Gibt es einen Lieblingssong aus dem Repertoire der Prinzen?

Krumbiegel: Da gibt es ganz viele. Natürlich sind die Hits, die du selbst geschrieben hast, wichtige Songs. Diese Lieder scheinen eine Art Zeitlosigkeit zu haben, und sowas kannst du nicht planen. «Ich wär’ so gerne Millionär» oder «Mein Fahrrad» – es ist schon ein gutes Gefühl, wenn mir heute Eltern Videos ihrer fünfjährigen Kids schicken, die unsere Songs voller Inbrunst singen. Mein Lieblingslied auf dem Album «Krone der Schöpfung» ist «Immer auf mich zähl’n». Auf Tour singe ich den gerade jeden Abend alleine am Flügel –da bekomme selbst ich immer Gänsehaut. 

Später folgten erste Soloproduktionen. Was hat sich im Gegensatz zur Prinzen-Karriere verändert?

Krumbiegel: Wenn ich alleine auf eine Bühne gehe, kann ich voll meinen Ego-Film fahren, und ich muss keine Kompromisse eingehen. Als Band sind wir ein demokratischer Haufen – das ist manchmal sehr anstrengend. Gerade in der Kunst muss man höllisch aufpassen, dass das, was durch Kompromisse entsteht, nicht der kleinste gemeinsame Nenner ist, auf den man dann kommt. Solo trete ich eher in kleinen Theatern oder Clubs auf. Dort ist dann die Atmosphäre oft sehr intim. Ich kann viel spontaner sein und viel freier im Ablauf. Ich kann mich treiben lassen und dadurch mit dem Publikum in einen viel engeren Kontakt treten – das geniesse ich sehr.

«Alleine auf der Bühne kann ich meinen Ego-Film fahren»
Sebastian Krumbiegel

Auch als Autor sind Sie aktiv geworden. 

Krumbiegel: Auf Anraten meiner Hamburger Freunde vom Record-Label TAPETE habe ich angefangen, das, was mir wichtig erschien, aufzuschreiben. Es geht bei diesem Buch sehr viel um mich selbst, um meine Kindheit und natürlich um meine Zeit als Musiker. Das ist – wie ich finde – sehr unterhaltsam, aber es zeigt auch ziemlich offen, wie ich ticke, was mir wichtig ist. Ich schreibe so, wie ich rede, deswegen liest es sich sehr leicht, aber dem Anspruch von grosser Schriftstellerei, geschweige denn Literatur, wird es definitiv nicht gerecht – aber das war auch gar nicht der Plan.

Sie nahmen als Mitglied der 13. und 14. Bundesversammlung an den Wahlen zum deutschen Bundespräsidenten teil. Nominiert wurden Sie von der SPD-Fraktion des Sächsischen Landtages. Wie viel Politiker steckt heute noch in Ihnen?

Krumbiegel: Ich denke, wir alle sollten uns klar machen, dass es nicht darum geht, dass wir uns «von denen da oben» regieren lassen. Klar – das sind die Profis, die sich auf ihren Fachgebieten auskennen sollten. Das tun sie nicht immer. Darum sollten wir ihnen auf die Finger schauen, denn wir selbst sind es, die sich darum kümmern sollten, in was für einer Welt wir leben. Wir haben mehr Einfluss, als wir uns vorstellen können. Ob in mir ein Politiker steckt? Ich bin Musiker, aber meine Musik ist oft auch politisch – so wie mehr oder weniger alles, was wir machen oder eben nicht machen.

Erst im vergangenen Juli wurden Sie für den «Löwenherz-Friedenspreis» nominiert, der im November vergeben wird. Allerdings lehnten Sie diesen ab, mit der Begründung, dass Sie «mit der Meinung einiger Beteiligten zum Ukrainekrieg und dessen Ursachen» nicht einverstanden sind. Können Sie das präzisieren?

Krumbiegel: Wir haben gerade einen bösen Krieg mitten in Europa. Man sollte dabei wissen, auf welcher Seite man steht. Mir geht es garantiert nicht darum, die Russen zu verteufeln. Aber Putin ist ein Gangster, ein mieser Kriegsverbrecher, und da sollte es keine Relativierungen geben. Den «Löwenherz Friedenpreis» sollte ich zusammen mit Gabriele Krone-Schmalz verliehen bekommen, und die Laudatio sollte Eugen Drevermann halten. Beide haben sich in der jüngsten Vergangenheit zum Krieg aus meiner Sicht eher verstörend geäussert. Da es mir aber fern liegt, mit Dreck zu schmeissen, möchte ich mich da jetzt gar nicht weiter zu äussern. Für mich war es wichtig, die Reissleine zu ziehen, und ich bin froh, dass ich mich da so entschieden habe.

Sie haben sogar die Schirmherrschaft eines Festivals für schwul-lesbische Chöre übernommen. Wie stehen Sie zur aktuellen Situation der LGBTQI*?

Krumbiegel: Auch das ist ein weites Feld. Es gibt ja Menschen, die sagen: Haben wir nichts Wichtigeres zu tun, als uns um Schwule, Lesben, Trans-Menschen oder andere Minderheiten zu kümmern? Natürlich kann man das so sehen, wenn man selbst nicht zu diesen Minderheiten gehört. Ich halte das aber für falsch. Minderheitenschutz ist eine wichtige demokratische Errungenschaft. Natürlich müssen wir uns in erster Linie um unseren Planeten kümmern, dass wir weiterhin in Frieden leben können; natürlich müssen wir unsere demokratischen Grundwerte verteidigen. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, uns auch um andere Dinge zu kümmern.

Durch Beat Toniolo haben Sie einen Bezug zu Schaffhausen gewonnen Wie haben Sie sich kennengelernt?

Krumbiegel: Wir haben uns 2014 an der Buchmesse in Leipzig kennen gelernt. Beat Toniolo hatte damals die Idee, Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame» in einer sehr speziellen Form auf die Bühne zu bringen. Ich durfte ein Teil davon sein und das werde ich nie vergessen. Ich mag es, wenn Menschen über den Tellerrand hinaus Dinge tun, die ungewöhnlich erscheinen. Darin ist Beat Toniolo ein Meister seines Faches. 

In Schaffhausen haben Sie bislang nur in einer «Toniolo deckt auf»-Folge gespielt und werden im Rahmen des «Rheinfall Festivals» im September mit dem Jugendchor Vocanto der Singschule MKS Schaffhausen ein zweites Gastspiel geben. 

Krumbiegel: Beat Toniolo ist ein sehr umtriebiger Kerl, für den im Leben Kultur die Hauptrolle spielt. Seine grosse Stärke ist, Menschen miteinander zu verbinden. Kürzlich habe ich durch ihn mit einer Cellistin und einer Harfenistin zusammen musiziert. Jetzt wird es eben der Jugendchor Vocanto der Singschule MKS Schaffhausen sein. Die Vorfreude ist auf allen Seiten riesig.

Ronny Bien, Schaffhausen24