Im Rahmen der Kulturstrategie 2018-2028 führte die Stadt erstmals die Schaffhauser Kulturtage durch. 2002 erarbeitete der Kanton ein erstes Kulturkonzept, setzte dieses jedoch nie um. Erst als die Stadt die Idee entstaubte, nahm das Ganze wieder Fahrt auf mit dem Auftrag, ein Pilotprojekt durchzuführen, um den Bedarf in der Bevölkerung abschätzen zu können. Dieser wurde zweifelsfrei erfüllt. An vorderster Front dabei war die Organisatorin der Schaffhauser Kulturtage, Carina Neumer, die während zehn Monaten ein Husarenstück fertigbrachte. Im grossen «Bock»-Interview zieht sie eine Bilanz der ersten Austragung.
«Bock»: Carina Neumer, die ersten Schaffhauser Kulturtage sind Vergangenheit. Ende gut, alles gut?
Carina Neumer: Ja, dieses Mammutprojekt ist uns gelungen. Die Stimmung in der Stadt war während vier Tagen wirklich super. Die Menschen hatten grosse Freude und zeigten eine ausgesprochene Dankbarkeit. Schaffhausen konnte sich mit diesem Anlass stark identifizieren. Ich erlebte viele emotionale Momente, als in der Stadt Leute auf mich zukamen und sich bei mir bedankten. Das prägt schon, weil man ja nicht damit rechnet.
Im Vorfeld wusste man ja nicht, wie die Schaffhauser Kulturtage bei der Bevölkerung ankommen würden.
Neumer: Das ist so. Es war wie eine Reise ins Ungewisse. Darum waren wir immer sehr zurückhaltend mit Prognosen und wollten auch keine Versprechungen gegen aussen machen, die wir vielleicht nicht einhalten oder umsetzen konnten. Dass die Leute das Konzept verstanden, freute mich extrem, denn diese Flut an Einzelveranstaltungen hätte durchaus auch das Gegenteil bewirken können.
37 Veranstaltungsorte in der Stadt Schaffhausen, auf einem eigentlich kleinen Raum – und doch haben sich die insgesamt gut 20 000 Besucher:innen optimal verteilt.
Neumer: Ich befürchtete im Vorfeld, dass die Leute Veranstaltungsorte, die man entweder gar nicht oder sehr gut kennt, eher ausser Acht lassen, doch auch hier wurde ich positiv überrascht. Alle Anlässe generierten Publikum, teilweise wurden sie regelrecht überrannt. Wir mussten aufgrund der hohen Nachfrage kurzfristig Zusatzvorstellungen organisieren. Wir konnten uns aber auch zu 100 Prozent auf die eingegangenen Partnerschaften verlassen. Sehr viel Extraleistungen haben Kulturorte wie Kammgarn, TapTab, Bachturnhalle, Stadttheater oder das Museum erbracht. Es bestätigte mir, dass die ganze Kulturszene an einem Strick zog. Die schönste Überraschung erfolgte beim Abschlusskonzert auf dem Munot, als ein Rehkitz auf die Welt kam. Dieses durften wir nun «Kulturtägli» nennen.
213 Veranstaltungen gingen während diesen vier Tagen über die Bühne. Klingt schon fast surreal.
Neumer: Absolut. Es war eine unglaubliche Dichte an Anlässen. Es war nicht zuletzt meine persönliche Motivation gewesen, dass die Besucher:innen keine Leerzeiten hatten, sondern dass immer irgendwo etwas lief. Zu einem Festivalcharakter gehört meiner Meinung nach diese Mehrschichtigkeit und ich bin sicher, dass viele Personen in die Stadt strömten, da sie Angst hatten, etwas zu verpassen.
Gibt es Erkenntnisse, wo man für ein nächstes Mal optimieren kann?
Neumer: Natürlich, das müssen wir nun alles in Ruhe evaluieren. Beispielsweise war der Fronwagplatz am Sonntag fast zu dicht gedrängt für alle Soundchecks und Umbauten, während gleichentags der Herrenacker fast nicht mehr besucht wurde und auch einfach viel zu heiss war.
Das gesamte OK bestand mit Ihnen aus insgesamt sechs Personen sowie dem technischen Leiter Roli Fricker, der vor allem die Outdoor-Bühnen betreute. Zudem wurden Sie durch den städtischen Kulturdienst unterstützt. Reichte das, um dieses Mammutprogramm zu stemmen?
Neumer: Personell waren wir sehr knapp aufgestellt. Für solche Erkenntnisse ist ein Pilotprojekt ja auch da, ein nächstes Mal müsste das unbedingt verbessert werden. Zum Glück trug die Stadt Schaffhausen das Pilotprojekt aus, für einen privaten Verein wäre die Umsetzung wohl sehr schwierig geworden und hätte zu noch mehr Eigenleistungen und Ehrenamtlichkeit geführt. Ich hatte durch meine frühere Anstellung im Kulturdienst das Glück, dass ich während den ersten Vorbereitungen vieles über das damalige Pensum abdecken konnte und der Stadtrat das auch absegnete. Die Wege zu innerstädtischen Abteilungen waren somit kurz. Auch das intakte Beziehungsnetz kam uns sehr entgegen. Ausserdem konnte ich das Konzept innerhalb meiner Masterarbeit verfassen.
Was gab es sonst noch für Challenges zu bewältigen?
Neumer: Die Baustellen in der Altstadt waren sehr herausfordernd. Die Stadtpolizei unterstützte mich da enorm. Ansonsten sind es gewisse Abläufe, die noch optimiert werden könnten. Was mich erstaunte, war, dass es auch während den Kulturtagen Menschen gab, die nicht wussten, was da vor sich ging. Dabei wurde so oft darüber kommuniziert, auch medial, mit Plakaten, alles war über eine so lange Zeit sichtbar und transparent. Aber umso schöner, waren sie trotzdem da.
Hätte eine «Welcome Zone» mit einem Infostand anfangs Schwertstrasse mehr Aufklärung gebracht?
Neumer: Ich denke, das wäre wahrscheinlich zu sehr «Mainstream», was wir ja gerade nicht wollten. Wir entschieden uns bewusst dagegen, nicht zuletzt, weil wir mit dem Schaffhauserland Tourismus an der Vordergasse über eine zentrale Anlaufstelle verfügten. Anfangs wollten wir auch keine Foodstände anbieten, doch im Nachhinein erwies sich das als eine sehr gute Idee. Im Nachhinein würden wir aber sicherlich einen zusätzlichen Infostand betreuen, nicht nur unseren mobilen Bollerwagen.
Kommen wir auf die Finanzen zu sprechen. Haben die Kulturtage aus wirtschaftlicher Sicht rentiert – sowohl für die Künstler:innen, wie aber auch für die Veranstaltenden?
Neumer: Eine zentrale Frage war, ob die Kulturschaffenden fair genug entlöhnt wurden. Wir wendeten dabei einen Verteilschlüssel an, welcher genau regulierte, wer wie viele Gelder erhielt. Es gab Vereine, die wirklich einen Riesenjob abspulten, aber trotzdem unentgeltlich arbeiteten. Die Witterungsverhältnisse, das generelle Interesse der Bevölkerung, der Verkauf der Kulturbändel waren Faktoren, wodurch das Einnahmenbudget eher tief kalkuliert wurde. Die Stadt stellte einen Betrag von 150 000 Franken zur Verfügung, die internen Leistungen kommen hier noch dazu. Der Kanton leistete einen Beitrag von 90 000 Franken und einen grossen Teil konnten wir mit Fundraising wettmachen und ein Gesamtbudget von 475 000 Franken generieren.
Viele Kulturschaffende verkündeten schon von den Bühnen aus, dass die Kulturtage im kommenden Jahr wieder stattfinden sollen. Auch die Bevölkerung outete sich unmissverständlich als Fans dieser viertägigen Veranstaltung. Nehmen Sie diesen Auftrag an?
Neumer: (lacht) Ich fühle mich extrem geehrt, dass der Anklang derart positiv war. Aber um es vorwegzunehmen: Es ist schlicht und einfach nicht realisierbar, einen solchen Anlass jährlich auszutragen. Erst recht nicht unter den Bedingungen von diesem Jahr. Eine seriöse Planung braucht eine Vorlaufzeit von sicher anderthalb, eher zwei Jahren. Es sind momentan viele Diskussionen im Gang, in welcher Form die nächste Austragung ausgerichtet werden könnte. Klar ist, egal in welcher Form - ob private Trägerschaft oder wieder in städtischer Ausrichtung - die Stadt muss sich zu diesem Projekt bekennen, denn ohne diverse Leistungen städtischer Abteilungen wäre das Festival nicht umsetzbar. So oder so muss zuerst das Pilotprojekt abgeschlossen und analysiert werden und dann der Stadtrat in Absprache mit dem Kanton über die Zukunft der Schaffhauser Kulturtage entscheiden.
Gibt es bereits Ideen, wie sich die Kulturtage weiterentwickeln könnten?
Neumer: Würde man diese auf eine oder gar zwei Wochen ausdehnen, würde es den Reiz verlieren. Der Sinn dieses auf vier Tage komprimierten Anlasses besteht ja genau darin, dass man kulturell degustiert. Es ist allen bewusst, dass niemals alle Veranstaltungen besucht werden können. Aber das ist auch der grosse Vorteil, weil Schaffhausen eine breite Kulturlandschaft hat. Darum macht es auch Sinn, dass Schaffhausen seine Kultur in vollem Ausmass präsentiert. Das ist enorm geschätzt worden. In den nächsten Ausführungen, zu denen es hoffentlich kommt, sollte darum meiner Meinung nach der Fokus auf die Region beibehalten werden.
Abschliessend: Was nehmen Sie aus den ersten Schaffhauser Kulturtagen mit?
Neumer: Es ist für mich eine riesige Bereicherung. Ich durfte Einblick erhalten in sämtliche Kulturnischen, viele neue, spannende Menschen kennenlernen. Schaffhausen und dessen Bevölkerung haben mich inspiriert in diesen vier Tagen und mich auch ein wenig stolz gemacht, dass ich für so eine offene und begeisterungsfähige Stadt ein Festival organisieren durfte.