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15.05.2023

Eine Kamera steht still im Walde

Mit automatischer Wildtierkamera und einem sorgfältig ausgesuchten Gegenstand sucht Tobias Rüeger nach einem wenig begangenen Ort im Wald. Welche Kunst daraus entsteht, ist aktuell im Museum kunst + wissen in Diessenhofen zu sehen.
Mit automatischer Wildtierkamera und einem sorgfältig ausgesuchten Gegenstand sucht Tobias Rüeger nach einem wenig begangenen Ort im Wald. Welche Kunst daraus entsteht, ist aktuell im Museum kunst + wissen in Diessenhofen zu sehen. Bild: Gabriella Coronelli, Schaffhausen24
Entgegen dem Kinderlied mit dem Männlein steht die Kamera von Tobias Rüeger zwar still, aber nicht unbedingt stumm im Wald herum. Die Zutaten seiner Kunst bestehen aus geheimen Waldorten, ausgewählten Requisiten und ganz viel Geduld.

Der 50-jährige Tobias Rüeger kam über die Architektur zur Fotografie. Der ursprünglich gelernte Hochbauzeichner begann hobbymässig mit einer konventionellen Spiegelreflexkamera unterschiedliche Themen rund um die Architektur in Bildern festzuhalten. 

Zur Baukunst kamen mit der Zeit Tier- und Natursujets hinzu. Das Ablichten von Wildtieren mit einer gewöhnlichen Kamera erwies sich allerdings als schwierig. Durch das Ausprobieren der daraufhin erworbenen Wildtierkamera ist er dann auf die Idee gekommen, Kunst daraus zu machen. «Danach kam durch Zufall der Gedanke, die gewählten Orte im Wald mit Gegenständen anzureichern. Ich dachte, diese Kombination könnte einen lustigen Effekt mit sich bringen», erinnert sich Tobias Rüeger zurück. Wie Wildtiere auf Schreibmaschinen, Heiligenbilder und andere Requisiten reagieren, ist aktuell in Diessenhofen im Museum kunst + wissen zu sehen. 

«Ich gebe jeweils nur die Gemeinde bekannt, niemals den genauen Standort. »
Tobias Rüeger

Ungeeignet: rot und blau

«Es war ein jahrelanges Ausprobieren und ein Üben in Geduld», sagt Tobias Rüeger und ergänzt: «Bis ich ‹verwertbare› Bilder in den Händen hielt, musste ich viel experimentieren.» So stellte er beispielsweise fest, dass sich Wildtiere nicht sonderlich durch rote und blaue Farben angezogen fühlen. Dies sei den Tieren wohl zu auffällig und sie könnten sich dadurch gestört fühlen und demzufolge einen anderen Weg einschlagen. «Eine Fahrverbotstafel ist demnach kein guter Gegenstand», erzählt Tobias Rüeger mit einem Augenzwinkern. Mit der Zeit hat sich herausgestellt, dass sich die Waldtiere bei platzierten Sujets in Naturtönen wie grün und braun eher zeigten. «Ich wähle die Requisiten sehr gezielt aus. Sie müssen unauffällig für Tier und Mensch sein und sich harmonisch in die gegebene Szene einbetten.» Auch die Dimensionen seien wichtig. Requisiten mit der Grösse zweier Handflächen betrachtet der Künstler als ideal. 

Geheime Orte

Die Aufnahmeorte seiner Werke verrät der Künstler aus unterschiedlichen Gründen nicht. «Die deponierte automatische Kamera reagiert auf Bewegung. Ich will verhindern, dass anstatt der Tiere Menschen abgelichtet werden.» Aus diesem Grund achtet er bei der Auswahl der Szenen sehr darauf, dass es sich um Waldstücke handelt, die von Menschen wenig begangen werden. «Ich gebe jeweils nur die Gemeinde bekannt, niemals den genauen Ort. Die Wälder im Kanton Schaffhausen erweisen sich als ideal für mein Vorhaben», erklärt der im Bezirk Winterthur aufgewachsene Kunstschaffende. Er entscheidet sich weitestgehend für abgelegene Hänge, die er durch das Studieren von Wegenetz-Karten auswählt. 

Als Naturinteressierter hält er sich generell gerne im Wald auf. «Ich begeistere mich für alle Waldthemen», erzählt der leidenschaftliche Pilzsucher. «Wer häufig im Wald ist, kann Spuren besser nachvollziehen». Damit meint Tobias Rüeger nicht unbedingt die Pfotenabdrücke der Tiere. Vielmehr kann er die Wege der Tiere im Wald anhand der hinterlassenen Spuren einordnen: «Wildwechsel und die Wege der Tiere lassen sich bei guter Aufmerksamkeit ausfindig machen. Mit der Zeit weiss man, was an gewissen Stellen zu erwarten ist», meint er. 

Die platzierte Schreibmaschine weckte die Neugierde einiger Waldtiere. Das Reh links im Bild scheint sich den Gegenstand wohl lieber aus der Distanz ansehen zu wollen. Bild: zVg.

Bilder mit versteckter Botschaft 

Auf den ausgestellten Bildern sind Tiere zu erkennen, die spielerisch die platzierten Requisiten beschnuppern. Insbesondere Jungtiere scheinen mit einer grossen Portion Neugierde herausfinden zu wollen, was es mit den Objekten auf sich hat. Nebst der eher leichten Kost finden sich aber auch Bilder mit Installationen, welche Wortspiele mit versteckten kritischen Reflexionen aus der Gesellschaft integrieren. So zum Beispiel die Aufnahme mit einer alten Schreibmaschine und der Aufschrift «Pressefreiheit». 

Mit gesellschaftskritischen Wortspielen wie «Wachsdumm» vergleicht der Künstler seine Beobachtungen der Gesellschaft mit dem natürlichen Wachstum im Wald. «Viele Menschen wollen immer wachsen, immer mehr haben, ständig erfolgreicher werden. Im Wald passiert ein natürliches Wachstum, ohne irgendwelchen Schnickschnack». Ein weiteres Foto, das lange vor der kürzlichen Bankenkrise entstand, zeigt ein Reh, welches eine morsche Bank beschnuppert. Der gewählte Titel des Künstlers «Ihre Bank des Vertrauens». 

Tobias Rüeger hat sich aber auch schon von Gegenständen inspirieren lassen, die er im Wald gefunden hat. «Ich stiess einmal auf ein Töffli. Wahrscheinlich wurde es einfach im Wald entsorgt: Mir diente es als Sujet für Bildaufnahmen». Praktisch in jedem Winter versucht der Künstler mit selbstgebauten Schneemenschen die Waldtiere für ein Foto zu begeistern. Allerdings hat es bis heute damit nicht geklappt. Schlussendlich sollen die Resultate für Tobias Rüeger jedoch insbesondere etwas sein: absurd.

Immer wieder platziert Tobias Rüeger Heiligenbilder im Wald. Obschon der Künstler selbst keinen Bezug zur Religion hat, dekorieren rund 40 antike Heiligenbilder sein Zuhause. Bild: zVg.

Nostalgische Gegenstände

Die nostalgischen Heiligenbilder scheinen nicht nur bei der laufenden Ausstellung in Diessenhofen eine zentrale Rolle zu spielen. «Eines meiner ersten Bilder zeigte ein Reh mit einem Heiligenbild. Das war der Moment, als ich dachte, dass ich diese Art von Kunst weiterentwickeln will», verrät Tobias Rüeger. Auch bei ihm zuhause seien rund 40 Heiligenbilder als Dekoration aufgestellt, obschon der Künstler selbst keinen Bezug zur Religion hat. In einer früheren Serie entschied er sich, ein Bild von Elvis Presley aufzustellen. «Dieses Bild war für zwei Jahre immer wieder an einem anderen Ort anzutreffen.» Schüchterne Rehe, Hasen und auch Eichhörnchen liessen es sich nicht nehmen, sich mit dem King of Rock and Roll ablichten zu lassen. Falls Tobias Rüeger in seinem privaten Fundus nicht fündig wird, stöbert er in Brockenhäusern und Flohmärkten nach etwas Passendem. Auf seine Zukunftspläne angesprochen verrät der in Neuhausen wohnhafte Künstler: «Ich bin auf der Suche nach einem Standort, an welchem ich mein ausgesuchtes Sujet für ein ganzes Jahr stehen lassen möchte. Ohne dabei entdeckt zu werden.»

 

Die Ausstellung «tagein tagaus - künstlerische Wildtierfotografie» ist aktuell im Museum kunst + wissen in Diessenhofen zu sehen. Am kommenden Sonntag, 21. Mai, findet um 14.30 Uhr ein Künstlergespräch mit Tobias Rüeger statt. Weitere Informationen sind unter diessenhofen.ch/museum.ch abrufbar.

Gabriella Coronelli, Schaffhausen24