Home Region Sport Schweiz/Ausland Magazin Agenda
Kultur
20.02.2023

Ein wandelfähiger und wertgeschätzter Kulturort

Bis nächsten Sonntag ist in der Tigerfinklifabrik in Diessenhofen die Geschichte der Diessenhofer Pedalomarke Forsa zu ergründen.
Bis nächsten Sonntag ist in der Tigerfinklifabrik in Diessenhofen die Geschichte der Diessenhofer Pedalomarke Forsa zu ergründen. Bild: zVg.
Noch diese Woche sind Pedalos und Clipper aus der Diessenhofer Fahrzeugproduktion zu sehen.

Die ehemalige Tigerfinklifabrik ist ein multifunktionaler Kulturort in Diessenhofen. In erster Linie ist der Gewerberaum Wohn- und Arbeitsort für die Textildesignerin Andrea Buck und den Fotohistoriker und Präsidenten der Gemeinnützigen Gesellschaft (GGD) Fritz Franz Vogel. «Die Tigerfinkli» beherbergt eine grosse Sammlung historischer Textilmuster aus der Zeit seit den 1950er-Jahren. Zum anderen gibt es eine Bibliothek mit über 10 000 Büchern zur Mode-, Foto-, Kunst-, Kultur- und Sittengeschichte. Drittens sind reiche Sammlungsbestände zu fotografischen Kitsch- und Kolonialpostkarten vorhanden. So ist mit diesem Privatarchiv immer auch ein kurzer Weg gegeben, um eine Recherche zu betreiben. Und weil trotz der umfangreichen und dennoch bestens strukturierten Papierberge noch ein Raum frei ist, wird dieser genutzt für vielfältige Ausstellungen, Vorträge, Theater oder Konzerte. 

Die Tigerfinklifabrik hat ihren Namen von den Pantoffeln, die hier zwischen 1982 und 1990 hergestellt wurden. Erfunden wurden die Treter mit dem auffälligen, katzenartigen Design um 1890 von der Schuhfabrik Bally in Schönenwerd. Im September 1917 wurden sie im Jelmoli-Katalog als Damenmorgenpantoffel (wie auch für Kinder) erstmals mit einem Bild vorgestellt. Um 1940, vermutlich aufgrund des gegenseitigen Austausches an der Landi 39 in Zürich, wurde die Produktion von Bally zur Hausschuhfabrik Glogg in Fehraltorf verlagert. Bis zur Liquidation des Betriebs 1982 wurden die Finkli dort produziert. Danach kam die Pantoffelproduktion nach Diessenhofen, wo es seit 1908 eine von Karl Russ gegründete Schuhproduktion gab. Wegen der hohen Produktionskosten verlagerte einer der späteren Russ-Nachfolger, Hans-Ruedi Dussling, 1990 die Herstellung nach Polen, wo die Schuhe noch heute unter einer Zürcher Leitung produziert werden. 

In der Zwischenzeit ab 1993 wurde das Anfang der 1950 Jahre neu gebaute und 1963 erweiterte Gebäude im Bauhausstil als Vorhangfabrikation genutzt, bis auch dieser Betrieb 2012 stillgelegt, respektive der Firma Création Baumann in Langenthal einverleibt wurde. Vogel übernahm das Gebäude 2013 als neue Wirkstätte mit seiner Frau. Davor lebte er über 20 Jahre in einem Loft der ehemaligen Tuchfabrik in Wädenswil, das der Eigentümer wieder zu Gewerberaum umbauen wollte.

Vielfältige Kulturangebote

Aktuell bis nächsten Sonntag (Donnerstag bis Sonntag, 14 bis 18) ist in der Tigerfinklifabrik noch die Geschichte der Diessenhofer Pedalomarke Forsa zu ergründen. Dieser Familienbetrieb unter Oskar Forster stellte seit Mitte der 1940er-Jahre Wasserfahrzeuge für die Freizeit her und möblierte die Schweizer Seen. Eine unbekannte Anzahl der rund 1200 damals produzierten Wassertreter sind auf verschiedenen Schweizer Seen nach wie vor im Bootsverleih vorhanden. Solche Pedalos aus Aluminium sind heute wieder gesucht und werden restauriert. Jetzt werden fünf Tretmobile samt historischen Dokumenten, populären Filmen von Heintje über Conny&Peter bis Clint Eastwood und dokumentarischen Fotos aus den Familienalben ausgestellt, denn eine solche Schau ist nur im Winter möglich, wenn die Boote im Trockendock lagern.

Vom 5. bis 10. März gibt es eine Filmwoche zum Thema «Sammeln», dem Jahresthema der GGD. Am 30. März referiert die Märchenforscherin Carola Schaad über das Sammeln bei den Gebrüder Grimm und Co. Ab 23. April wird dann ein «Raum-Gewebe» der über 80-jährigen Textilkünstlerin Johanna Morel von Schulthess zu bestaunen sein, das sie zwischen 1970 und 1995 anfertigte.

Ein Ort der schönen Bücher

Die Tigerfinklifabrik ist ein offener, vielfältig nutzbarer Veranstaltungsraum. Mit den Sammlungen und den Bibliotheken ist aber auch ein Denk- und Resonanzraum, ein Forschungs-, Produktions- und Vermittlungsort vorhanden, dessen Ergebnisse immer wieder in Ausstellungen und Bücher einfliessen, die der Hausherr kuratiert, respektive herausgibt. In den letzten zehn Jahren wurden mehrere lokale Kulturthemen aufgearbeitet und präsentiert, so die Diessenhofer Rotfärberei und Zeugdruckmanufaktur im 19. Jahrhundert, die Geschichte der Tigerfinkli und der Forsa-Pedalos im 20. Jahrhundert. Ebenso mit lokalem Fokus wurden zwei Monografien hergestellt, so zur Kunststickerin Elise Huber und zum Künstler und Architekten Adolf Ott. Ausserdem recherchiert und publiziert Vogel zu historischen Postkarten, Fotografien und Alphabeten. Aktuell entstehen eine erweiterte Reedition zu den Berufsporträts des bald 92-jährigen Schaffhauser Fotografen Rolf Wessendorf sowie je eine Monografie zum 2016 verstorbenen Künstler Werner Matthias Schmid aus Steinebrunn und zum Konzeptkünstler und Friedensaktivist Urs Knoblauch aus Fruthwilen. 

Ein bibliophiles Glanzstück geht demnächst in den Druck. Es ist ein Faksimile eines fast 150-jährigen Blockbuches des völlig unbekannten Illustrators Cäsar Bertsch, der topmoderne und exklusive Modebilder und Maskenkostüme zeichnete. Aber die Geschichte dazu ist zu verrückt, um sie hier schon auszuplaudern.

Schaffhausen24, Fritz Franz Vogel