In der Schweiz wird gemäss Nichtregierungsorganisationen (NGO) jede zweite Woche eine Frau getötet. Auch in Schaffhausen ist Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ein weit verbreitetes soziales Problem. Die Istanbul Konvention, die in der Schweiz am 1. April 2018 in Kraft gesetzt wurde, ist das umfassendste internationale Übereinkommen zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Susanne Nef ist im Kanton Schaffhausen für die Umsetzung der Konvention verantwortlich. Im Gespräch mit dem «Bock» erklärt sie, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht.
Massnahmen sind definiert
Nach einer eingehenden Bestandesaufnahme beschloss der Schaffhauser Regierungsrat im vergangenen September einen Aktionsplan für die Umsetzung der Istanbul-Konvention. «Damit wurde ein grosses politisches Zeichen gesetzt. Drei Schwerpunkte mit jeweiligen Massnahmen wurden verabschiedet: die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen, die Gewaltprävention und der Gewaltschutz», fasst Susanne Nef zusammen. «Es braucht allerdings auch Zivilcourage», ergänzt Sandra Koitka vom Zonta Club Schaffhausen und erklärt den Zweck dieser Organisation: «Zonta Schaffhausen verfolgt mit dem Fond HoriZonta das Ziel, Frauen mit beschränkten finanziellen Mitteln bei einer Aus- oder Weiterbildung mit Beiträgen zu helfen, um ihre berufliche und soziale Situation nachhaltig zu verbessern.» Bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, ein existenzsicherndes Einkommen und Unabhängigkeit vom Sozialamt seien dabei besonders im Fokus.
Einen beobachteten Missstand anzusprechen, falle nach wie vor vielen Menschen schwer. «Anzeichen von häuslicher Gewalt können Eifersucht, Isolation oder auch Sabotage sein. Es handelt sich jedoch immer um Situationen, in welchen die persönlichen Grenzen der Betroffenen überschritten werden», spezifiziert Sandra Koitka. Eine erfolgreiche Prävention beinhalte das aktive Ansprechen. Es empfiehlt sich dabei, vorgängig mit einer Fachstelle wie der Fachstelle für Gewaltbetroffene in Schaffhausen Kontakt aufzunehmen und sich beraten zu lassen, wie die Verantwortlichen betonen.
Abhängigkeit als Risikofaktor
Die Istanbul-Konvention bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden und Leiden bei Frau führen, als Menschenrechtsverletzung. Susanne Nef spricht einen relevanten Punkt an: «In der Deutschschweiz verdient laut einer Studie von 2021 nicht einmal die Hälfte der Frauen genug, um den Lebensunterhalt allein zu bestreiten. So gab jede zweite Frau im Erwerbsalter an, für ihren Lebensunterhalt auf finanzielle Unterstützung durch den Partner angewiesen zu sein.» Diese Abhängigkeit kann ein bedeutender Risikofaktor für häusliche Gewalt sein, welche wiederum die Wahrscheinlichkeit eines Femizids erhöhen kann. Susanne Nef verdeutlicht anhand von Zahlen: «Ein zeitnahes, sensibles und betroffenenorientiertes Vorgehen ist daher relevant. Auch gesellschaftlich gilt es, das Tabu noch weiter zu brechen und über häusliche Gewalt zu sprechen. Denn die Polizeistatistik schweizweit verdeutlicht, dass 40 Prozent aller polizeilich registrierten Straftaten im häuslichen Bereich stattfinden. Bei einzelnen Gewaltformen sind es gar mehr: 60 Prozent der vollendeten Tötungsdelikte der polizeilichen Registrierungen sind dem häuslichen Bereich zuzuordnen. Bei den Vergewaltigungen sind es 42 Prozent». Sie fügt hinzu: «Betroffene wollen in der Regel über ihre Erfahrungen sprechen, das Umfeld will jedoch oft nicht zuhören– zum Selbstschutz. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass so etwas auch in ihrem Umfeld passiert.» Der Blick muss aus Sicht von Susanne Nef dringend auch auf die Tatpersonen gerichtet und von den Opfern etwas abgewendet werden. Denn momentan seien es die Opfer, die in Aktion treten und sich wehren müssen, so auch die Hauptbotschaft von Präventionskampagnen. «Und solange sie sich nicht von sich aus wehren, nimmt niemand davon Kenntnis», stellt Sandra Koitka fest.
Hilfestellungen für Betroffene
Ein offener Austausch sei für Betroffene nicht immer einfach. Oftmals haben Opfer mit Schamgefühlen zu kämpfen. Nicht alle bringen den Mut auf, sich ihrem Umfeld zu öffnen. Oft aus Angst, selbst verurteilt zu werden.
Die Fachstelle für Gewaltbetroffene Schaffhausen kann eine erste Anlaufstelle sein. Unter der Telefonnummer 052 625 25 00 werden Opfer von Gewalt, aber auch deren Angehörige kostenlos und anonym beraten und unterstützt (fsgb-sh.ch). Die Fachstelle «Konflikt.Gewalt.» bietet ebenfalls kostenlos eine niederschwellige Beratung für Tatpersonen oder Personen, die unter grossem Druck stehen und fürchten die Kontrolle zu verlieren.