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Kommentar
Kultur
14.11.2022

Zur Zukunft im Klassik-Betrieb

Stéphanie Stamm schreibt in regelmässigen Abständen eine Kultur-Kolumne im «Bock».
Stéphanie Stamm schreibt in regelmässigen Abständen eine Kultur-Kolumne im «Bock». Bild: zVg.
In ihrer Kolumne schreibt Stéphanie Stamm über die mittelfristige Sicherung des Klassik-Betriebs.

Aufmerksame Leserinnen und Leser wissen es vielleicht: Mein Herz schlägt für die klassische Musik, und zwar seit ich denken kann. Zu verdanken habe ich dies vor allem meinem lieben Papa, der mich schon als kleines Mädchen an Konzerte und in die Oper mitnahm, mit mir Kassetten und CDs hörte und immer wieder mit Begeisterung von Begegnungen mit Solistinnen und Dirigenten erzählte. Unter anderem dank diesen Erfahrungen bin ich das geworden, was ich bin: eine Kunsthistorikerin und Musikvermittlerin, die es als grosses Privileg erachtet, in der Kulturbranche arbeiten zu können.

Ebenfalls seit ich denken kann, gehöre ich zu den Jüngsten im Publikum – auch heute noch, über dreissig Jahre nach meinen ersten Konzertbesuchen. Wenn ich im Chor des St. Johanns sitze und die mehrheitlich grauen Häupter betrachte, komme ich dann und wann ins Grübeln und frage mich: «Warum eigentlich? Weshalb sitzen da nicht mehr jüngere Leute?» Gleichzeitig sind es mit den Jahren auch immer weniger Besucherinnen und Besucher, immer weniger Abonnentinnen und Abonnenten geworden. 

Es ist in den kulturellen Zentren von Europa wohl utopisch, davon auszugehen, dass die Konzertsäle in absehbarer Zeit regelmässig und anhaltend von unter Sechzig- oder gar Fünfzigjährigen in Beschlag genommen werden. Dabei wäre bereits die Anbindung dieses Alters ein wichtiger Schritt in Sachen mittelfristiger Sicherung des Klassik-Betriebs. 

Komplett anders sieht die Klassik-Welt in Asien aus. Was für uns kaum zu glauben ist, ist beispielsweise in Taiwan, Südkorea und Japan normal: Ganz selbstverständlich besuchen dort junge Erwachsene klassische Konzerte. Raten Sie einmal, wie viel Prozent der Zuhörerinnen und Zuhörer in der Republik China unter 30 Jahre alt sind? – 65 Prozent! Denn während in Europa die Klassik eine alte Tradition ist, ist sie dort etwas Neues, und darum komplett hip. Autogrammjagden und Selfies mit den Solisten gehören fix dazu, zudem wird mit einem Konzertbesuch offenbart, dass man gebildet und privilegiert ist. Und nicht zuletzt zeigt die taiwanesische Bevölkerung mit ihrem Hang zur klassischen Musik auch ihre Identifizierung mit den kulturellen und politischen Freiheitswerten des Westens.

Faszinierend, nicht wahr? Wenn wir zum Schluss noch einmal den Bogen nach Europa schlagen, gibt es aber auch bei uns einen Funken Hoffnung. Wie oft schon hörte man in den letzten Jahrzehnten genau dieselben Klagen, wie ich sie soeben formulierte, doch: «Totgesagte leben länger.» Ich gehe deshalb schwer davon aus, dass ich mich auch noch als Seniorin auf ein klassisches Konzert freuen darf!

Schaffhausen24