Ich kann mich manchmal fürchterlich aufregen. Und meistens über Dinge, die eigentlich Lappalien sind. Beispiele? Ein Auto steht vor mir an der Kreuzung und will partout nicht einbiegen, obwohl ewig Zeit dafür wäre. (Ich kralle mich ins Lenkrad und rufe «come on!»…) Mitreisende im Zug teilen mit mir ungefragt ihre Telefongespräche und ihre Lieblingsmusik. («Muss das sein?») Oder bei der Arbeit: Ein Rechtschreibfehler in einer druckfrischen Broschüre! (Meistens habe ich selber Korrektur gelesen…) Wir kennen es und tun es alle: Sich empören über vollkommen Belangloses. Und wir hinterfragen unser Verhalten meist nur dann, wenn es uns selbst mal wirklich schlecht geht und wir feststellen, wie viele Menschen es viel schwieriger haben als wir selbst.
«Ich entrüste mich, und folglich bin ich» – so wandelte der tschechische Schriftsteller Julius Fučík den philosophischen Grundsatz von René Descartes, «Ich denke, also bin ich», auf das 20. Jahrhundert um. Und seine Feststellung, dass unsere Empörung über alles Mögliche schon mal so weit gehen kann, dass sie zum Daseinszweck wird, trifft heute mehr denn je zu. Ein Blick auf den «Blick» genügt da zum Beweis («Was hat Meghan Markle schon wieder angestellt?»), ebenso wie die Lektüre der Leserbriefe der «Schaffhauser Nachrichten» oder der einen oder anderen kleinen Anfrage im Grossen Stadtrat – wie etwa zuletzt zu den Baumtrögen auf dem Herrenacker.
Das Beispiel der Baumtröge zeigt gut auf, wie ein Einzelfall der Empörung («Wer um Himmels Willen plant so etwas?») zum kollektiven Empörungs-Ereignis wird, obwohl sich das Thema dafür eigentlich gar nicht eignet. Man könnte ja auf nüchterne Fragen entspannt Antwort geben. («Ja, die Tröge sind gross. Und ja, wer Bäume will, braucht halt Erde. Nein, die Terrasse wird garantiert schön.») Nichts da! Stattdessen füllen die «Schaffhauser Nachrichten» mehrere Seiten, Passanten werden befragt, das Radio bringt Beiträge, die Kommentarspalten auf Facebook füllen sich mit allerlei schnell getipptem Mist und auch über die Erstempörte empört man sich. Ein Nicht-Skandal geht viral…
In der Online-Welt bezeichnet man die kommerzielle Bewirtschaftung unserer niederen Instinkte mit dem Begriff «Clickbait», einem Kompositum aus «Click» und «bait» (engl. «Köder»). Das funktioniert so: Den im Meer des Internets ziellos umherschwirrenden Nutzern werden möglichst schmackhafte Köder ausgeworfen – in Form von reisserischen, skandalösen Headlines und in der Hoffnung, dass die Nutzer zuschnappen, denn wer mit «News» im Web Geld verdienen will, braucht möglichst viele Klicks. Kaum überraschend ist Facebook der unangefochtene Meister der Empörungsbewirtschaftung und setzt mit «Clickbait» jährlich Milliarden um. Die beste Cash-Cow sind da allerdings nicht News-Beiträge, sondern Videos, in denen allerlei blödsinnige Experimente durchgeführt werden.
Ob sich die Bewirtschaftung des Nicht-Skandals um die Baumtröge gelohnt hat, bezweifle ich. Um wirklich viral zu gehen, hätte man wohl einen Trog mit Backpulver, Cola und Essig füllen und das Ganze auf Facebook stellen müssen. Mein Rat: Besser die Kirche im Dorf lassen.