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Kommentar
Kultur
25.07.2022

Hitzesommer – Kultursommer?

Jens Lampater schreibt in regelmässigen Abständen eine Kultur-Kolumne im «Bock»
Jens Lampater schreibt in regelmässigen Abständen eine Kultur-Kolumne im «Bock» Bild: Marcel Tresch, Schaffhausen24
In seiner Kolumne schreibt Jens Lampater, Kulturbeauftragter der Stadt Schaffhausen, über Sommertheater und seine kulturelle «Auszeit».

Was ist das nur für ein Sommer! Nachdem die Sommerferien im letzten Jahr fast dauerhaft in Pullovern und Outdoorjacken verbracht werden mussten, entschädigt uns der diesjährige Sommer im Übermass: Sonne satt, wohlig warm von früh bis spät, mediterrane Verhältnisse! 

Die Medien konzentrieren sich naturgemäss auf die «Schattenseiten» der Sommerhitze und überschlagen sich mit Superlativen: Von «Afrikahitze» ist die Rede, der Arbeitsplatz werde «zum Glutofen» und wir lernen allerlei Techniken, die uns dem Umgang mit der Hitze erleichtern: frühmorgens lüften, dann Storen runter und Vorhänge zu. Dazu werden schattige Plätzchen empfohlen und eine Siesta in den Mittagstunden – ob das mediterrane Lebensgefühl mit helvetischem Arbeitsethos vereinbar ist? Abwarten. 

Im Stadttheater ist derzeit Spielzeitpause. Aufgestaute Überzeit wird abgebaut und Ferien können grosszügig bezogen werden, bevor es Mitte August wieder losgeht mit Abo-Verkauf und Saisonstart. Während die meisten «normalen» Kulturbetriebe wie wir auch in den Ferien sind, schlägt die Stunde der Sommerevents: Als wäre das Kulturpublikum über die vergangenen Monate ausgehungert, werden jetzt allerlei Orte im Freien bespielt: Theater in Parks, Konzerte in Gartenlauben, Kino auf dem Dorfplatz. Nicht zu vergessen die Sommerfestivals, für das Theater etwa Avignon und Edinburgh, wo während mehrerer Wochen jeder noch so kleine Winkel der Stadt mit Veranstaltungen gefüllt wird. 

Ich selbst bin nicht der grösste Fan von Sommertheater. Zum einen nehme ich mir für wenige Wochen im Jahr auch mal gerne eine kulturelle «Auszeit», zum anderen gibt es beim Sommertheater viel zu viel, das mich von der Aufführung ablenkt: Die Kleidung klebt verschwitzt am Plastikstuhl, der Wind weht den Klang der Musik in die weite Ferne und ein hupendes Auto stört den Schlussmonolog.  Bei aller Liebe für den «genius loci» von lauschigen Orten frage ich mich schon, warum wir sämtliche Erkenntnisse aus Jahrtausenden der Theatergeschichte (vom Amphitheater zur Kulissenbühne!) ausgerechnet in den Sommermonaten in den Wind schlagen und meinen, Kultur sei überall problemlos möglich – Hauptsache draussen halt. 

All denjenigen, die auch nicht so gern verschwitzt in der prallen Sonne einer Aufführung zu folgen versuchen, die anderswo vielleicht besser aufgehoben wäre, sei das Origen Festival von Giovanni Netzer empfohlen, das jeweils in den Sommermonaten phänomenale Projekte realisiert, die Kultur und Natur genial in Einklang bringen: Der visionäre Theaterturm auf dem Julierpass, der nächstes Jahr schon wieder abgebaut wird, beherbergt diesen Sommer Tanztheater vom Feinsten, und in der Burg Riom bei Savognin, wo noch bis Ende des Monats die Opernkreation «Zucalli» zu erleben ist, kann man auch im Hochsommer bei weniger als 20 Grad kühlen Kopf bewahren. 

Schaffhausen24