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Wirtschaft
20.12.2021

Innovativ Energie sparen

Das NEST-Gebäude in Dübendorf. Hier fanden die ersten Tests von viboo statt.
Das NEST-Gebäude in Dübendorf. Hier fanden die ersten Tests von viboo statt. Bild: zVg.
Die Vision: den Gebäudebetrieb effizienter gestalten. Benjamin Huber und Felix Bünning bringen mit viboo ein Produkt auf den Markt, mit dem sich auf Basis von Künstlicher Intelligenz und prädiktiver Regelung der Energiebedarf fürs Heizen und Kühlen von Gebäuden um 26 bis 49 Prozent reduzieren lässt – ohne grossen Aufwand.

Wenn es um das Thema Energie geht, wird meist schnell über das Mobilitäts- oder Flugverhalten sowie den Fleischkonsum gesprochen. «Es geht oft vergessen, dass der Gebäudebereich für den grössten Energieverbrauch und die grössten CO2-Emissionen verantwortlich ist», so Benjamin Huber, Co-Gründer des Empa Spin-offs viboo. «Diese Emissionen kommen zum grössten Teil aus dem Betrieb und nicht etwa aus dem Bau von Gebäuden», erklärt er weiter. In den letzten Monaten arbeitete der gebürtige Ramsener gemeinsam mit Mitbegründer Felix Bünning intensiv am Spin-off viboo und der Entwicklung einer Cloud-Software-Lösung für den optimalen Betrieb von Gebäuden.

Vorausschauend Heizen

Wohl alle kennen die Thermostate für die Temperaturregelung an den Radiatoren oder für die Fussboden- sowie Deckenheizung. «Die Funktionsweise dieser Thermostate ist zwar sehr simpel und robust, aber auch sehr ineffizient», so Benjamin Huber. Was er damit meint: Sie reagieren nur auf die Temperatur, die bereits im Raum vorhanden ist, und beziehen weder Gebäudecharakteristiken, Wettervorhersagen noch Nutzerpräferenzen mit ein. «Gebäude wärmen sich beispielsweise natürlich durch Sonneneinstrahlung oder die Anwesenheit von Personen auf», erklärt der Co-Gründer von viboo. Um den Energieverbrauch in Gebäuden zu reduzieren und damit zu optimieren, werde mit viboo nur noch so viel geheizt oder gekühlt, wie wirklich nötig ist.

Die prädiktive Regelung von viboo erfolgt auf Basis von Maschinellem Lernen (ML) und wird über eine Cloud-Software vertrieben. «Gebäude sollen unter anderem auf das Wetter vorausschauend geheizt oder gekühlt werden, um den Energiebedarf zu reduzieren.» Zuvor entwickelte Lösungen basierten vielfach auf physikalischen Modellen. «Dazu mussten Ingenieure für jedes Gebäude die sehr aufwendige Modellerzeugung individuell durchführen. Entsprechend war dieser Ansatz nicht ökonomisch. Bei unserer Lösung ist der Prozess dank ML komplett automatisiert.»

Die Energieforscher

Benjamin Huber, der für die Technologie bei viboo zuständig ist, ist in Ramsen aufgewachsen und wohnt heute in Flurlingen. Der gelernte Polymechaniker studierte nach seiner Grundausbildung an der ETH Zürich Maschineningenieurwissenschaften, fokussierte sich bald auf Energiethemen und schrieb seine Masterarbeit in diesem Bereich bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf. Die Empa ist eine schweizerische Forschungsinstitution für anwendungsorientierte Materialwissenschaften und Technologie. 

Bis heute arbeitet der 30-Jährige als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Urban Energy Systems Lab bei der Empa – wo er auch seinen Geschäftspartner Felix Bünning kennenlernte. Dieser stammt aus Aachen, wo er seinen Master in Maschineningenieurwissenschaften absolvierte – ebenfalls mit Fokus auf Energiethemen. Für seine Masterarbeit machte Felix Bünning unter anderem einen Austausch nach Kalifornien ans Berkley Lab. «Nach seinem Doktorat an der ETH Zürich und der Empa erhielt Felix das BRIDGE Proof of Concept, ein Förderprogramm des Schweizerischen Nationalfonds SNF und Innosuisse, um die Kommerzialisierung unserer Forschung voranzubringen», erzählt Benjamin Huber. Mit diesem Geld werde die Produkt- und Geschäftsentwicklung, sowie Marktvalidierung im nächsten Jahr unterstützt. 

Neben den 130 000 Franken, welche die beiden im Rahmen des BRIDGE Programms generieren konnten, pitchen sie regelmässig an Wettbewerben für Start-ups. So erreichten sie vor Kurzem bei Venture Kick die zweite Runde und erhielten 50 000 Franken. «Es macht uns natürlich stolz, dass wir diese Meilensteine erreicht haben. Nichtsdestotrotz liegt noch ein sehr langer und steiniger Weg vor uns», so Benjamin Huber. 

Die Gründer von viboo: Felix Bünning (l.) und Benjamin Huber. Bild: zVg.

Nutzung von Künstlicher Intelligenz 

Anders als viele herkömmliche Regelsysteme, agiert viboo vorausschauend. Möglich ist dies Dank einer Kombination von mathematischer Optimierung und Künstlicher Intelligenz, genauer gesagt physikalisch inspiriertem Maschinellem Lernen. In diesem Fall bedeutet das, dass allein aus Daten ein Modell gelernt wird: «Unser Modell kann vorhersagen, wie sich die Temperatur im Raum verändert», führt Benjamin Huber weiter aus. Mit diesem Modell, und dem Einbezug von Wettervorhersagen und Nutzerpräferenzen kann stets die optimale Heizleistung berechnet werden. Somit kann der Energiebedarf fürs Heizen oder Kühlen zwischen 26 und 49 Prozent reduziert werden, während der Komfort sogar noch erhöht wird. Ob für ein grosses Bürogebäude oder eine 2,5-Zimmer-Wohnung: bereits innerhalb von einer Woche sind Veränderungen erkennbar. «Das Produkt funktioniert mit allen Heizsystemen – sei es Gas, Öl oder Wärmepumpe», erklärt Benjamin Huber. 

Energie sparen innert einer Woche

Die Umstellung in einem Gebäude auf viboo dauert zwischen einer Stunde und einem Tag und kostet sehr wenig. «Es war uns wichtig, dass die Inbetriebnahme einfach ist. Der Nutzer muss nur die Thermostate ersetzen.» Am Beispiel einer 4,5-Zimmer Wohnung: Wenn vier Thermostate ersetzt werden, kostet das weniger als 500 Franken, auch bei einem Einfamilienhaus bleiben die Investitionskosten üblicherweise unter 1000 Franken: «Deutlich günstiger, als das ganze Gebäude zu isolieren oder sanieren». Bereits nach einer Woche sinken die Energiekosten. Der Return of Investment (Rendite gemessen am Erfolg im Verhältnis zum eingesetzten Kapital) sei – abhängig vom Gebäudetyp – zum Teil in weniger als einem Jahr erreicht.

Von der Idee bis zur Projektumsetzung ist wenig Zeit vergangen. Im Mai 2021 präsentierten die Co-Gründer viboo vor einem Ausschuss der Empa, von der sie kurz darauf das Spin-off-Label erhalten haben. Neben ihrer teilweise von BRIDGE finanzierten Anstellung, investierten die beiden Jungunternehmer in den letzten Monaten einen grossen Teil ihrer Freizeit in das Projekt. «Wir haben klare Vorstellungen, wo die Reise hingehen soll. Doch der Prozess beinhaltet sehr viel Unvorhersehbares.» 

Wichtige Pilotprojekte gestartet

Aktuell laufen Pilotprojekte mit grösseren Firmen, darunter mit Danfoss, einem weltweit führenden Unternehmen im Bereich Wärme- und Kältetechnik. «Wir haben im Rahmen dieses Pilotprojektes 150 vernetzte Thermostate im Verwaltungsgebäude der Empa eingebaut.» Ziel sei es, nach der Firmengründung Anfang 2022, das Produkt viboo.cloud Ende nächsten Jahres auf den Markt zu bringen. «Nun geht es darum, die Kunden zu überzeugen, dass unsere Lösung die beste ist», so Benjamin Huber. Die aktuelle Phase mit den laufenden Pilotprojekten – die sich an Thermostat-Hersteller und nicht direkt an Privatpersonen richtet – ist sehr wichtig für Benjamin Huber und Felix Bünning. «Wir müssen beweisen, dass unsere Technologie in bestehende Lösungen integriert werden kann und dass der Markt unser Produkt annimmt.» 

Eine Innovation mit Zukunft

«viboo.cloud ist auch für zukünftige Themen wie zum Beispiel variable Energiepreise oder Lastenregelung mit Gebäuden geeignet», so Benjamin Huber, der es als sehr erfüllend sieht an einem Projekt zu arbeiten, mit dem man einen echten Beitrag zur Entgegenwirkung des Klimawandels leisten kann. Bis zum Markteintritt von viboo liegen noch einige Meilensteine vor den Jungunternehmern: Anfang 2022 soll die Firmengründung erfolgen, parallel die Betreuung und Auswertung der Pilotprojekte. «Es ist spannend, den ganzen Prozess von A bis Z mitzuverfolgen», sagt Benjamin Huber mit Blick auf die nächsten Monate. Denn der Klimawandel bleibt ein drängendes Problem, dem Benjamin Huber und Felix Bünning mit ihrer Innovation entgegenwirken wollen. 

Lara Gansser, Schaffhausen24