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Gesellschaft
20.12.2021
20.12.2021 17:52 Uhr

Die Revolte von 1968

Das erste Buch von Kevin Brühlmann ist eine historische Reportage über die Revolte von 1968 in der Provinz.
Das erste Buch von Kevin Brühlmann ist eine historische Reportage über die Revolte von 1968 in der Provinz. Bild: Nathalie Homberger, Schaffhausen24
Kevin Brühlmann veröffentlichte Anfang November sein erstes Buch. Die historische Reportage beleuchtet die 1968er-Bewegung in Schaffhausen.

«Wir haben gelebt. Wir sind nicht gelebt worden.» Dies sagte Barbara Ackermann, Gründerin der ersten Wohngemeinschaft in Schaffhausen, in einem Interview mit dem Schaffhauser Journalisten und Autoren Kevin Brühlmann. Ein kurzer Satz, aber es ist doch eine prägnante Aussage über die Revolte von 1968 in Schaffhausen. Und genau diesem Thema nahm sich Kevin Brühlmann in seinem ersten Buch an, das Anfang November veröffentlicht wurde.

Subjektive Realität

«Schaffhausen muss sterben, damit wir leben können» ist eine historische Reportage über die Revolte von 1968 in Schaffhausen. Im Zentrum stehen dabei nicht die Klischees über die 1968er-Bewegung, die sich im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft festsetzten, wie beispielsweise langhaarige Hippies, die mit Steinen warfen und an Rednerpulten in den grossen Städten wie Paris oder Berlin ihre damals als aufrührerisch geltenden Ansichten kundtaten. Vielmehr befasste sich Kevin Brühlmann mit der KG8 – der ersten Wohngemeinschaft in Schaffhausen an der Krummgasse 8, die 1969 gegründet wurde. «Ich habe versucht, zu erzählen, wie die Gemeinschaft der KG8 die Revolte vom 1968 in der Provinz vorantrieb, und dabei ging es auch um ihre subjektive Realität, um den Flash jener Jahre aufleben zu lassen.» Alle hätten ein Ziel gehabt: Die alten Mauern einreissen, die von Patriarchen und Anzugträgern vorgegeben wurden.

Der gebürtige Thaynger, der heute in Zürich lebt und als Reporter beim «Tagesanzeiger» arbeitet, nahm seine Masterarbeit im Fach Geschichte an der Universität Zürich als Grundlage des Buches. «Als ich die Arbeit abgegeben habe, wurde mir bewusst, wie wichtig die KG8 für die Bewegung in Schaffhausen war», erklärt der Autor. So beschloss er, sich in einem Buch noch stärker auf die Kommune zu fokussieren. Er wollte möglichst nahe nachzeichnen, was in der Provinz abging. Laut dem 31-Jährigen handle es sich dabei um eine Gegengeschichte zu den grossen Männern und Frauen, die sich als revolutionär inszenieren. 

Überwachung der KG8

Der Autor versuchte zu dokumentieren, weshalb und wie sich die Stadt Schaffhausen innert weniger Jahre stark verändert hatte. Wie beispielweise hin zu mehr Gleichberechtigung, besserem Mitspracherecht der Jugendlichen, entspannterem Umgang mit Sexualität und vielem mehr. So ging es bei der 1968er-Bewegung in Schaffhausen nicht um «links oder rechts», sondern es herrschte – als Paradebeispiel bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der KG8 – vielmehr eine Aufbruchstimmung. 

Sekundärliteratur zur Bewegung in Schaffhausen gibt es nur wenig. Der Buchautor führte unter anderem mit ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern der Kommune Interviews. Darunter waren Kurt Schaad, Barbara Ackermann, Beatrice Schäfli, Peter Hartmeier, Angelo Gnädinger und weitere Schaffhauser Persönlichkeiten. Einige trieb es später an «die Spitze von Politik und Wirtschaft». Viele dieser Personen behaupten von sich, dass sie die alten Strukturen in der Stadt aufgebrochen hätten. Ein Pionierstolz sei laut Kevin Brühlmann bei den Gesprächen zu spüren gewesen. Er schreibt in seinem Werk: «Die Bauerntochter, der Mechanikersohn [...], und der Pfarrersohn, sie alle stiegen die Treppen zur Wohnung hoch, in der Überzeugung, für diejenigen, die wenig haben, verantwortlich zu sein. Sie kamen von unten und zielten nach ganz oben.»

Ein grosser Teil des Buches dreht sich um die Überwachung der Personen, die in der KG8 verkehrten. Kevin Brühlmann erlangte für seine historische Reportage unter anderem im Stadtarchiv Schaffhausen Einsicht in Überwachungsakten, Protokolle oder Rapporte von der Polizei und Politikern – mit kuriosen und irrationalen Erkenntnissen. Die Regierung habe diese Personen bekämpfen wollen. «Und hier im Städtli hat man über sie getratscht. Die komischsten Sachen wurden protokolliert. Sie glaubten, sie werden von Moskau finanziert und irgendwann das Stadthaus übernehmen», erklärt der Autor. Diese Angst und diese übertriebene Darstellung haben dazu geführt, dass sich dies im Gedächtnis der Bevölkerung eingeprägt hat. Aber anstatt, dass mit ihnen das Gespräch gesucht wurde, kam es zur Marginalisierung der jungen Personen. 

Alternativen jenseits Schaffhausens

Das Faszinierende für den Autor an dieser Zeit ist, dass sich innerhalb weniger Jahre viel verändert hat. Das nachhaltigste Ergebnis aus der Bewegung sei, dass die Frauen für ihre Rechte eingestanden sind und sich gegen enorm viele Widerstände durchgesetzt haben. «Man sollte die Krummgasse-Crew dazu beglückwünschen, dass sie an Alternativen jenseits dieser kleinen Stadt herumstudierten, was dazu führte, dass die autoritärsten Teile des alten Schaffhausens starben,» lautet ein Fazit im Buch. 

Wie war es denn für Kevin Brühlmann, in die Welt der KG8 einzutauchen? Er gibt zu, dass er gerne mal zur damaligen Zeit in die Kommune reingeschaut hätte. «Es muss wohl eine grosse Energie geherrscht haben. Sie wussten, die Zeit und der Zeitgeist ist auf ihrer Seite und sie können etwas bewegen.»

 

Kevin Brühlmann: «Schaffhausen muss sterben, damit wir leben können. Die Revolte von 1968 in der Provinz», 244 Seiten, 34.90 Franken, Verlag am Platz.

Nathalie Homberger, Schaffhausen24